Die Entfaltung der Lehre – Teil 3

PJ: Meine Frage lautet: Ist das ohne den Prozess der Selbsterkenntnis und ohne das Beobachten des ›Was-ist‹, überhaupt möglich?

K: Ja, es ist möglich. Ohne dreißig Jahre lang zu forschen, ohne dreißig Jahre lang zu diskutieren und das Bewusstsein und seinen Inhalt zu untersuchen und was sonst noch alles – ohne all das kann man die ganze Sache direkt und unmittelbar verstehen, kann man sich ihrer bewusst werden und einen Einblick bekommen. Wie sollen wir das untersuchen? 

PJ: Vielleicht hast du es nicht gemerkt, aber vor dreißig Jahren hatten die Menschen, die zu dir kamen, das Gefühl, dass du sie bei der Hand nimmst …

K: Ja, ich weiß; sie haben es mir gesagt.

PJ: Und jetzt hast du deine Hände zurückgezogen.

K: Ich verstehe, aber vielleicht sind wir auch ein bisschen reifer geworden.

PJ: Aber wodurch ist diese Reife zustande gekommen? Durch die dreißig Jahre?

K: Nein. Lass uns da ein bisschen genauer hinschauen. 

(Lange Pause) 

Warum gehst du überhaupt dreißig Jahre zurück, wenn ich fragen darf? Ich will dich nicht davon abhalten, ich frage nur, warum du dreißig Jahre zurückgehst?

PJ: Das will ich dir sagen. Ich wollte einfach ganz objektiv sehen, was mit der Lehre im Laufe der vergangenen dreißig Jahre geschehen ist. Ich wollte sehen, was passiert ist, und zwar nicht nur in Bezug auf das geschriebene Wort, sondern in mir selbst.

K: Ja.

PJ: Als ich mir das allein angeschaut habe, wurden bestimmte Dinge ganz deutlich. Es gibt in deiner Lehre drei deutlich unterscheidbare Perioden. Jedes Mal, wenn eine Periode zu Ende ging, veränderte sich etwas, eine völlig neue Sichtweise trat in den Vordergrund. 

K: Würdest du das etwas näher erklären?

PJ: Es gab die Periode, in der du von Selbsterkenntnis sprachst, und von den anderen Dingen, die ich bereits erwähnt habe …

K: Ja.

PJ: In den Sechzigern hast du dich dann davon entfernt und über dieses allumfassende Sehen gesprochen. Diese Totalität des Sehens war dir sehr wichtig, und du sagtest damals auch noch, dass das Ende des Denkens Stille sei. Heute lässt du all das beiseite. Du sprichst nie mehr über ein bestimmtes Detail, sondern immer über das Ganze. Deine Art zu sprechen ist heute – verzeih, wenn ich dieses Wort gebrauche – eher ›kosmisch‹.

K: Ja.

PJ: Und du bist heute präziser in deiner Ausdrucksweise. Du stellst deine Fragen fast wie ein Wissenschaftler: Können die Gehirnzellen selbst die Ganzheit fassen?

K: Tue ich das?

PJ: Deshalb wollte ich mich langsam zu dieser Position hin bewegen.

K: Fangen wir also damit an. Was willst du als Erstes fragen? Lass die drei Dinge zunächst beiseite. Wir kommen später noch darauf zurück.

PJ: Wenn du sagst, dass der Prozess der Selbsterkenntnis, die Erforschung des eigenen Selbst und das Beobachten nicht notwendig sind und dieser Zustand der Ganzheit sofort möglich ist, dann stellt sich doch die Frage: Wodurch wird er ausgelöst? Das ist die wichtigste Frage.

K: Oh mein Gott!

PJ: Ich verstehe die andere Position. Ich weiß, was sorgfältiges Beobachten bedeutet. Ich verstehe den Prozess des Werdens. Ich verstehe diesen Mechanismus. Aber heute wendest du dich von dieser Position ab. Heute sagst du, dass der Zustand der Ganzheit, das Sehen aus der Ganzheit, jetzt möglich ist. Doch was lässt das Auge, das Ohr und den Lernprozess so reifen, dass dies möglich wird?

K: Pupul, was willst du mir eigentlich jetzt sagen? 

PJ: Du sagst, dass der Zustand der Ganzheit hier und jetzt möglich ist. Meine wichtigste Frage ist: Ohne die dreißig Jahre …

K: Ich verstehe. Untersuchen wir also diese Aussage. Vielleicht stimmt es nicht, was ich sage, oder vielleicht drücke ich mich nicht präzise genug aus. Deshalb müssen wir uns das sehr sorgfältig anschauen. 

Fragst du mich: Wie kann ein Blinder Licht sehen oder, mit anderen Worten, wie kann jemand ohne jegliche Vorbereitung zu einer Sichtweise kommen, die auf Ganzheit beruht? Darauf läuft es doch hinaus, nicht wahr? Ob man ohne dieses ganze Forschen und genaue Beobachten, ohne diese ganzen Aktivitäten das Dasein in seiner Gesamtheit unmittelbar erfassen kann? Ist das richtig? Das ist die eigentliche Frage, nicht wahr?

PJ: Ja.

K: Das heißt, ist es ohne dreißigjährige ›Vorbereitung‹ möglich, die Existenz in ihrer Gesamtheit zu sehen, das Bewusstsein als Ganzes zu sehen? Richtig?

PJ: Und das bedeutet ein total leeres Bewusstsein.

K: Nein, nein, nicht leer. Langsam, langsam. Das Bewusstsein als Ganzes zu sehen …

PJ: … das die Vergangenheit ist.