Kann sich das Gehirn erneuern? – Teil 5

PJ: Ist es möglich, zu verstehen, was man mit den oberflächlichen Erinnerungen an diese Vergangenheit zu tun hat? 

K: Weißt du, was das bedeutet? Habe ich die Tausende von Gestern mit all ihren Oberflächlichkeiten, Kleinlichkeiten,  Einschränkungen, ihrer Brutalität, Grausamkeit und der Jagd nach Erfolg wirklich beendet oder ausgelöscht? Kann ich all das wegwischen? Kann all das ein Ende haben? Du sagst: »Ich kann es abschneiden«, aber wer hält das Messer? Was ist das Messer, und wer oder was schneidet?

PJ: Warum machst du einen Unterschied zwischen dem Beenden des ›Was-ist‹ und dem Abschneiden?

K: Für mich bedeutet ›beenden‹, dass etwas Vergangenes nicht weitergeht und andauert. ›Abschneiden‹ weist auf zwei Teile derselben Sache hin. 

Nun frage ich, ob es überhaupt möglich ist, den gesamten Inhalt des menschlichen Bewusstseins, der sich über Jahrtausende angesammelt hat, völlig zu beenden. Dieser Inhalt ist die Verwirrung, die Gewöhnlichkeit, Primitivität, Kleinkariertheit und Trivialität unseres unintelligenten Lebens.

PJ: Aber er ist auch das Gute …

K: Halt, warte. Ich muss da sehr vorsichtig sein. Das Gute ist etwas vollkommen anderes. Das Gute hat kein Gegenteil. Es ist keine Folge von dem, was nicht gut ist. Das Ende dessen, was nicht gut ist, ist das Gute. Ist es also möglich, jeglichen Konflikt zu beenden? 

PJ: Ja, der Konflikt kann ein Ende haben.

K: Kann er wirklich ein Ende haben, Pupul? Oder vergisst man einfach nur, was gewesen ist und den Konflikt verursacht hat?

PJ: Willst du damit sagen, dass das Ende des Konflikts die Geburt des Neuen ist? 

K: Erkennst du, welche Tragweite Konflikte haben? Siehst du ihre Tiefe und nicht nur das Oberflächliche? Oberflächlich wäre, lediglich zu sagen, dass ich kein Engländer oder Franzose mehr bin oder dass ich nicht mehr diesem Land oder jener Religion angehöre. Ich spreche nicht vom Ende der oberflächlichen Dinge. Ich spreche von dem, was tief in uns verankert ist.

PJ: Wenn du von Konflikt sprichst, meinst du unsere Getrenntheit voneinander. 

K: Ja, Getrenntheit, Isolation, die unweigerlich einen Konflikt erzeugt. Das ist das Eigentliche. Was bedeutet das? Wenn kein Konflikt da ist, enden dann alle Probleme? Und kann man ein auftauchendes Problem unmittelbar beenden? Probleme bedeuten Konflikte. 

PJ: Warum tauchen Probleme auf? 

K: Ein Problem ist etwas, das dir wie ein Knüppel zwischen die Beine geworfen wird, eine Herausforderung. Ein Problem ist etwas, dem du dich stellen musst. 

PJ: Ja. 

K: Wir versuchen, Probleme intellektuell oder physisch zu lösen – was nur zu weiteren Problemen führt. 

PJ: Willst du damit sagen, dass für die Geburt des Neuen …

K: Ja, du fängst an, es zu begreifen … Es muss so sein. Und deshalb ist die Geburt des Neuen das Allerälteste.

PJ: Können wir das ein bisschen genauer untersuchen? Würdest du darüber bitte noch etwas sagen? 

K: Das ist schließlich der Urgrund hinter dem es keinen weiteren Urgrund gibt. Der Ursprung jenseits dessen es keinen anderen Ursprung gibt.

(Lange Pause)

Schau, Pupul, die wirkliche Frage dreht sich doch darum, ob das Gehirn jemals frei von seinen eigenen Fesseln sein kann. Schließlich ist das Beenden einer Sache nicht gleichbedeutend mit totaler Freiheit. Richtig? Ich kann beispielsweise meine Verletzungen beenden. Das geht ganz einfach. Dabei sind es die Bilder, die ich mir von mir selbst gemacht habe, es sind diese Bilder, die verletzt werden.

PJ: Ja. 

K: Der Urheber dieser Bilder ist das Problem. Es geht also darum, ohne ein einziges Bild zu leben. Dann gibt es keine Verletzung, keine Angst, und wenn es keine Angst gibt, braucht man auch keine Sicherheit und keinen Trost – keinen Gott und all das.

Würdest du sagen, dass der Ursprung allen Lebens das Allerälteste überhaupt ist, jenseits jeglicher Vorstellung von alt oder neu? Würdest du sagen, dass das der Ursprung allen Lebens ist und dass, wenn der Geist – was das Gehirn einschließt – diesen Punkt erreicht, er der Urgrund ist, absolut ursprünglich, frisch und rein? Ich frage, ob es dem Geist möglich ist, dahin zu gelangen?

Meditation war eines der Mittel, dahin zu gelangen. Den Geist zum Schweigen zu bringen war eine der Methoden, mit der der Mensch das zu bewirken hoffte. Wir alle bemühen uns, dahin zu kommen. Ich sage, dass es keine Mühe erfordert. Das Wort ›Mühe‹ bedeutet bereits Konflikt. Man kann sich dem, was keinen Konflikt kennt, nicht über den Konflikt nähern.

PJ: Bedeutet das in gewissem Sinne, dass es in deiner ganzen Lehre keine unvollständige Vorgehens- und Betrachtungsweise gibt? 

K: Unmöglich. Wie kann es das geben? Würde ich versuchen, mich diesem Urgrund über die verschiedenen Wege zu nähern, die die Hindus entdeckt haben – karma, yoga und all diese Dinge, die alle unvollständig sind –, könnte ich ihm niemals nahe kommen; ich könnte  mich ihm nie nähern.

PJ: Was macht man dann? Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch – was mache ich dann?