Das Ende der Angst – Teil 2
PJ: (Fortsetzung) Wir sprechen über ›Gewahrsein‹, darüber, wie man der Angst ›nahe kommt‹. Kann man der Angst nahe kommen und die inneren Vorgänge bewusst wahrnehmen – das eigene Innere, wo die Angst spürbar ist? Wenn ja, taucht die Frage auf, wer die Person ist, welche die Angst beobachtet.
K: Ja, Pupul. Nimm an, du hast Kopfschmerzen … diese Kopfschmerzen sind ein Teil von dir.
PJ: Ja.
K: Wenn du wütend bist, ist das ein Teil von dir, wenn du neidisch bist, ist das auch ein Teil von dir.
PJ: Ja.
K: Und wenn du Angst hast, ist sie ebenfalls ein Teil von dir, du bist nicht von der Angst getrennt.
PJ: Nein, wenn ich Kopfschmerzen habe, kann ich mich mit meinen Kopfschmerzen beobachten, aber wenn Angst da ist – wenn ich Angst habe – kann ich mich nicht im Zustand der Angst beobachten.
K: Schau, ich bin mir bewusst, dass ich Kopfschmerzen habe; ich bin mir bewusst, dass ich Hunger habe.
PJ: Ja.
K: Ich bin mir auch bewusst, dass ich habgierig bin. Dieses Gewahrsein weist mich darauf hin, dass Habgier ein Teil von mir ist, es weist darauf hin, dass sie nicht etwas außerhalb von mir ist.
PJ: Nein, das ist sie nicht.
K: Also bin ich die Angst.
PJ: Ja.
K: Und jetzt fragen wir: Ist es möglich, diese Angst zu beobachten?
PJ: Ja, das ist wirklich die Frage.
K: Das ist die eigentliche Frage, ja.
PJ: Kann man die Angst beobachten?
K: Ja.
PJ: Wenn du davon sprichst, die Angst zu ›beobachten‹, meinst du damit, sie wirklich zu sehen?
K: Schließlich kennst du alle Anzeichen der Angst.
PJ: Ja, ich kenne die Anzeichen der Angst …
K: Warte. Du kennst alle Anzeichen und vielleicht auch die Ursache der Angst.
PJ: Ja.
K: Vielleicht kennst du auch die Reaktion auf die Ursache und weißt, dass diese Reaktion als ›Angst‹ bezeichnet wird – die ein Teil von dir ist.
PJ: Ja.
K: Aber unglücklicherweise sagst du auf Grund deiner Tradition, deiner Erziehung und so weiter: »Ich bin nicht die Angst. Ich bin die Beobachterin. Die Angst ist etwas anderes als ich.«
PJ: Unsere ganze Erziehung ist darauf ausgerichtet, mit etwas fertig zu werden.
K: Ja.
PJ: Wir versuchen, mit Problemen fertig zu werden, und genauso gehen wir mit der Angst um.
K: Ja, du gehst mit der Angst um, als wäre sie ein Problem außerhalb von dir.
PJ: Nein, selbst im Hinblick auf ein inneres Problem … Weißt du, ich befasse mich damit – das bedeutet, dass eine Abgrenzung stattfindet; was wiederum bedeutet, dass ich mir vorstelle, von diesem Problem getrennt zu sein.
K: Genau. So sind wir erzogen worden. Unsere Tradition, unser gewohnheitsmäßiges Denken ist: Ich kann auf die Angst ›einwirken‹ – und das bedeutet, dass man sich von ihr abtrennt.
PJ: Ja, Tradition und Erziehung machen mich glauben, dass ich etwas anderes bin als die Angst.
K: Aber wir haben gerade anerkannt, dass wir die Angst sind. Ich bin Angst.
PJ: Nein, Angst ist Ausdruck einer der Aspekte des ›Ich‹.
K: Des ›Ich‹, ja. Angst, Gewalt, Schmerz, Einsamkeit, Verzweiflung, Depression, Unsicherheit, die vielen Überzeugungen, Zweifel – all das ist Teil von mir.
PJ: Ja, und du sagst: »Beobachte das.«
K: Beobachte es ohne die Erinnerung an frühere Ängste. Beobachte es so, als würdest du es zum ersten Mal anschauen. Das ist die Schwierigkeit.
PJ: Zu beobachten, als sähe man etwas zum ersten Mal – das ist unmöglich. Es ist nicht möglich, weil mit meiner Beobachtung alle Erinnerungen an frühere Erfahrungen und Beobachtungen verbunden sind.
K: Das stimmt.
PJ: Ich beobachte durch die Brille dieser Erinnerungen.
K: Genau das sage ich doch. Diese Erinnerungen an das Vergangene machen den Beobachter aus. Und du beobachtest die Angst, als wäre sie etwas anderes als du. Wir haben festgestellt, dass Angst, Habgier, Neid, Glauben, Einsamkeit, Schmerz – dass wir all das sind. Ich bin nicht von diesen Dingen getrennt. Daraus bestehe ich.
PJ: Ja. Aber es bleibt auf der Vorstellungsebene.
K: Das ist die Schwierigkeit. Wir sind nicht darin geübt, einfach nur zu beobachten, sondern darin, aus allem, was wir beobachten, eine Vorstellung, einen verallgemeinernden Begriff zu machen. Und mit diesem abstrakten Begriff schauen wir auf die Wirklichkeit.
PJ: Würdest du mir sagen, ›wie‹ man schaut?
K: Wie betrachtest du einen Baum – das erstaunlichste Ding auf Erden? Wie schaust du einen Baum an?
PJ: Nun, mein Blick fällt auf den Baum … und geht achtlos an ihm vorbei oder ruht längere Zeit auf ihm.
K: Er – der Baum – geht nicht achtlos an uns vorbei, wir gehen an ihm vorbei.
PJ: Ja, mein Blick geht achtlos an ihm vorbei, wenn ich nicht an ihm interessiert bin oder wenn ich es bin, ruhen meine Augen auf ihm …
K: Du schaust ihn an. Zuerst betrachtest du ihn beiläufig und nennst das, was du siehst ›Baum‹. Dann sagst du, dass dieser Baum zu einer bestimmten Art, einer bestimmten Familie gehört. Aber bereits, als du ihn ›Baum‹ genannt hast, Pupul, hast du aufgehört, ihn anzuschauen.
PJ: Deshalb sagst du …
K: Ich sage, dass das Benennen die Beobachtung beeinträchtigt.