Den Ursprung aufdecken – Teil 2
PJ: Wenn ich sage, dass der Geist nur forschen kann, wenn er frei und daher Liebe ist – was tue ich dann?
K: Du kannst gar nichts tun. Aber wie untersuchst du etwas, zum Beispiel eine Frage, die sich die Menschheit seit Jahrtausenden stellt? Wie untersuchst du etwas, dem sie einen Namen gegeben hat und dann damit zufrieden war? Das tun wir nicht. Wir fragen, wie ein menschlicher Geist etwas erforschen kann, das außergewöhnlich sein muss, das nicht nur etwas Universales, Kosmisches haben muss – wenn man es so ausdrücken kann – sondern etwas, von höchster Ordnung ist? Wie beginnt die Forschungsreise? Wo beginnt sie? Wenn du mit dem Verstand forschst, wird das nicht sehr weit führen.
PJ: Nein. Du hast gefragt: »Wie beginnt die Forschungsreise?«
K: Ja, wie geht man an die Sache heran, wie geht ein Geist vor, der etwas erforschen möchte, das er nicht kennt und dessen Erforschung ein außergewöhnliches Maß an Sensibilität und Ordnung voraussetzt? Wo fange ich an?
PJ: Offensichtlich damit, dass man sich der eigenen inneren Unordnung bewusst ist.
K: Schau Pupul, ich bin schließlich all das, was sichtbar geworden ist. Ich wurde geboren. Ich bin ein Mensch.
PJ: Ja, aber es kann ganz offensichtlich keinen anderen Ausgangspunkt geben.
K: Die äußere Welt, die innere Welt. Anhand welcher Kriterien misst man das Äußere und das Innere. Was ist das Maß? Ich verwende nicht das Wort ›beurteilen‹, ich verwende absichtlich das Wort ›messen‹.
PJ: Aber muss man denn unbedingt etwas messen?
K: Wenn ich mich in einem Kloster selbst erforsche, kann ich mir ungeheuer viel vormachen. Aber wenn ich einen Maßstab dafür habe – lass mich für den Augenblick bei diesem Wort bleiben –, was tatsächlich in der Außenwelt vor sich geht, wenn ich das alles völlig vorurteilsfrei beobachten kann und wenn ich das, was außen geschieht, sehen und mit dem in Beziehung setzen kann, was in meinem Innern vor sich geht, dann werde ich erkennen, dass es sich in Wirklichkeit um ein und denselben Vorgang handelt und nicht um zwei verschiedene Vorgänge.
PJ: Krishnaji, ich bin nicht im Kloster. Ich stehe mitten im Leben.
K: Das ist wahr.
PJ: Und während ich so mitten im Leben stehe, beobachte ich das Geschehen auf verschiedenen Ebenen – ein Geschehen, von dem manches etwas mit mir zu tun hat und anderes wiederum nicht. Ich nehme in mir auch die Reaktionen auf das Geschehen wahr. Ich sehe das Wahrnehmungsvermögen, das ich vielleicht im Laufe der Jahre entwickelt habe. Es ist mir sogar gelungen, still zu bleiben und nicht zu reagieren. Ich sehe das alles. Und ich begebe mich da hinein. Ich gehe mit dem Ganzen mit.
K: Du bist es. Sage nicht: »Ich gehe mit dem Ganzen mit«.
PJ: Ja, ich bin das.
K: Du bist das.
PJ: Aber es ist einfacher, in Bezug auf die inneren Vorgänge zu sagen: »Das bin ich.« Es ist viel schwieriger, das im Hinblick auf ein äußeres Geschehen zu sagen. Wenn du zu mir sagst, dass ich all die Kriege bin, die gegenwärtig auf der Welt geführt werden, dann fällt es mir außerordentlich schwer, das zu sehen.
K: Nein, Pupul, wir sind verantwortlich – im tiefsten Sinne dieses Wortes – für alle Kriege, die stattfinden.
PJ: Ja, aber das erscheint mir weit weg. Du musst verstehen, dass zu dieser Verantwortung kein unmittelbarer Bezug besteht. Vielleicht sage ich, ›Ja, ich bin verantwortlich‹, wenn ich bis zur letzten Konsequenz ›Verantwortung‹ übernehme, aber ich kann es nicht auf dieselbe Weise mit mir in Verbindung bringen, wie das, was in mir ist.
K: Ganz recht.
PJ: Eine innere Reaktion ist natürlich eine lebendige Reaktion.
K: Ich hoffe, meine nächste Frage weicht nicht zu sehr von unserem Thema ab. Ich will wissen, warum du keine volle Verantwortung für die Kriege, die Grausamkeiten, die schrecklichen Dinge spürst, die in der Welt geschehen. Warum fühlst du dich nicht absolut verantwortlich?
PJ: Inwiefern ist man dafür voll verantwortlich? Weil man geboren wurde?
K: Nein; aber meine ganze Lebensweise, meine ganze Tradition, meine ganze Art zu denken und zu handeln – als Nationalist, als dieses oder jenes – hat zum gegenwärtigen Zustand der Welt beigetragen.
PJ: Du machst es so kompliziert. Irgendein Mensch verübt einen grausamen Mord. Ich kann nicht sagen, dass ich für diesen sadistischen Mord verantwortlich bin.
K: Natürlich nicht.
PJ: Wenn du so weit gehst, kann ich es unmöglich als Realität empfinden.
K: Lassen wir das für einen Moment. Ich habe eine Frage gestellt. Lass es gut sein.
PJ: Ja. Ich glaube, es ist besser, wenn wir das lassen. Lass uns lieber den Ursprung der Existenz erforschen, der die ›Istheit‹ des Lebens ist.
K: ›Istheit‹ – vom Verb ›sein‹.
PJ: Die einzige Möglichkeit, das zu erforschen, besteht darin, nach innen zu gehen, was immer das bedeuten mag.
K: In Ordnung. Benutzen wir diese Worte für den Augenblick – in den gesamten Komplex des Selbst ›hineingehen‹, ›sich hineinbegeben‹ oder ›eintreten‹. Nur, ich kann da nicht als Beobachter von außen eintreten, denn ich bin all das.
PJ: Ich sage noch nicht einmal etwas darüber, was ich bin.
K: Ja.
PJ: Ich lege nichts fest, ich entdecke, decke etwas auf.
K: Aufdecken, ja. Eher ›aufdecken‹ als ›entdecken‹.
PJ: Ich decke auf, was ich bin. Und indem ich mein Wesen aufdecke, begreife ich, dass ich das ganze menschliche Dasein aufdecke.
K: Ja.
PJ: Das kann man erkennen.
K: Ja, das ist ganz einfach.
PJ: Und auf dieser ›Aufdeckungsreise‹ werden die oberflächlichen Dinge weggefegt.
K: Das ist ziemlich einfach.
PJ: Aber wenn das Oberflächliche erst einmal weg ist, ist der Raum gesäubert.
K: Ist es nicht auch wichtig, wer den Raum sauber macht? Was bedeutet das – der Raum ist sauber gemacht worden? Verstehst du meine Frage? Bedeutet dieses Säubern oder Reinigen oder Aufdecken, dass man sich von den oberflächlichen Reaktionen, den oberflächlichen Konditionierungen ganz weg bewegt und dass man in das Innere des Geschehens einzudringen versucht, das den Geist konditioniert?