Gehirn, Geist, Leere – Teil 3
PJ: Geht diese Wahrnehmung vom Gehirn aus?
K: Sie kommt entweder durch das Wahrnehmen mit den Augen, oder deine Wahrnehmung ist eine Einsicht, die nichts mit Zeit und Denken zu tun hat.
PJ: Aber sie hat ihren Ursprung im Gehirn?
K: Oder entsteht sie außerhalb des Gehirns? Das ist doch deine Frage, nicht wahr?
PJ: Ja, das ist sehr wichtig.
K: Ich weiß – deshalb möchte ich mir darüber klar werden. Spielt es sich im Bereich des Gehirns ab, oder ist es so, dass diese Einsicht kommt, wenn man frei von Konditionierungen ist – was bedeutet, dass der Geist am Wirken ist? Das ist höchste Intelligenz. Kannst du mir folgen?
PJ: Nein; ich kann dir nicht folgen.
K: Machen wir es uns klar. Das Gehirn ist durch Zeit und Denken konditioniert, durch Zeit-Denken. Und solange diese Konditionierung besteht, ist keine Einsicht möglich. Du magst gelegentlich eine Einsicht haben, aber es ist keine reine Einsicht, denn dies würde bedeuten, dass man die Ganzheit der Dinge erfasst – ich verwende das Wort ›Ganzheit‹ (totality) und nicht ›Ganzheitlichkeit‹ (wholeness), weil letzteres zurzeit so häufig gebraucht wird. Diese Erkenntnis ist jenseits von Zeit-Denken, sie ist die Wahrnehmung des Ganzen. Deshalb kommt sie aus jenem Teil des Gehirns, der in einer anderen Dimension ist.
PJ: Ohne Sehen kann es keine Einsicht geben.
K: Genau das sage ich.
PJ: Das Wahrnehmen, das Lauschen – das Teil des Wahrnehmens ist – scheint mir das wirklich Wesentliche an der Einsicht zu sein.
K: Würdest du das bitte langsam wiederholen?
PJ: Nehmen wir das Wort ›Einsicht‹. Es bedeutet ›hineinsehen‹.
K: Hineinsehen.
PJ: Ins Sehen hineinsehen?
K: Nein, einen Moment; betrachten wir das Wort ›sehen‹. Es ist nur möglich, Einsicht in die Gesamtheit einer Sache zu haben oder ihre immensen Ausmaße zu erfassen, wenn Zeit und Denken zum Stillstand gekommen sind. Zeit und Denken sind begrenzt; deshalb kann eine solche Begrenztheit keine Einsicht haben.
PJ: Um zu verstehen, was du sagst, muss ich ein offenes Ohr haben und Augen, die sehen. Aus diesem Klang, aus dieser Form, aus dieser ganzen …
K: Ja, aus der vollständigen Bedeutung der Worte …
PJ: Ergibt sich ein Sehen, das über das Übliche hinausgeht. Ich versuche, etwas herauszufinden.
K: Was versuchst du herauszufinden? Ich verstehe nicht ganz …
PJ: Du sprichst von Einsicht. Einsicht ist aber ohne Aufmerksamkeit nicht möglich.
K: Nein, warte; bring jetzt nicht das Wort ›Aufmerksamkeit‹ ins Spiel.
PJ: Oder Sehen.
K: Nein, bleibe bei dem, was wir gesagt haben, nämlich dass keine Einsicht möglich ist, so lange Zeit-Denken eine Rolle spielt.
PJ: Es fragt sich: Was kommt zuerst?
K: Was meinst du mit: »Was kommt zuerst?«
PJ: Ich meine, in meinem Bewusstsein, bei meinem Versuch, mich dieser Sache zu nähern, kann ich nicht mit Einsicht beginnen.
K: Nein.
PJ: Ich kann nur mit Beobachten beginnen.
K: Du kannst nur damit beginnen, die Realität der Zeit zu erkennen. Die psychische Zeit und das Denken sind immer begrenzt. Das ist eine Tatsache. (Nachdrücklich)
PJ: Das, Krishnaji, ist eine Tatsache …
K: Nein, warte, fang damit an. Fang mit dem Erkennen an, dass Zeit-Denken immer begrenzt ist, und dass deshalb alles, was immer das Zeit-Denken macht, ebenfalls begrenzt und somit widersprüchlich und entzweiend ist und zu endlosen Konflikten führt. Das ist alles, was ich sage. Du kannst diese Tatsache sehen.
PJ: Man kann diese Tatsache außerhalb von sich selbst beobachten.
K: Warte, warte. Du kannst es in der Politik und im religiösen Leben sehen. Überall auf der Welt ist es eine Tatsache, dass Zeit und Denken sich durch ihr Tätigwerden in der Welt verheerend ausgewirkt haben. Das ist eine Tatsache.
PJ: Ja, ja.
K: Deshalb stellt sich jetzt die Frage: Kann diese Begrenzung jemals ein Ende haben, oder ist der Mensch dazu verdammt, für immer im Wirkungsbereich des Zeit-Denkens zu leben?
PJ: In welcher Beziehung stehen die Gehirnzellen und die Sinnesaktivitäten – ich benutze jetzt nicht das Wort ›Denken‹ – zu einer solchen Aussage? Siehst du die Tatsache, dass Zeit-Denken begrenzt ist? Und was bedeutet das genau? Wie sieht man das? Es ist, als würdest du mir sagen, dass ich eine Illusion bin.
K: Was?
PJ: Es ist tatsächlich so, als würdest du sagen: »Pupul ist eine Illusion.«
K: Nein, das habe ich nicht gesagt.
PJ: Aber ich sage das.
K: Nein; du bist keine Illusion.
PJ: Doch, Krishnaji, es ist genau so …
K: Nein. (Nachdrücklich)
PJ: Denn in dem Moment, wo du sagst: »Im Grunde ist Pupul ein psychisches Bündel aus Vergangenem, ein psychischer Vorgang aus Zeit und Denken. Und das ist die Psyche, und diese Psyche ist begrenzt« …
K: Ja, sie ist begrenzt, und alles, was sie tut, ist begrenzt.
PJ: Dann möchte ich fragen: Was ist verkehrt daran, begrenzt zu sein?
K: Gar nichts ist verkehrt daran, wenn du dauernd im Konflikt leben willst.
PJ: Ein Schritt weiter. ›Das [Zeit-Denken] zu beenden bedeutet nicht nur, zu sagen, zu fühlen, dass es begrenzt ist, es muss wirklich ein Ende haben.
K: Ich sage, dass es ein Ende gibt.