Gehirn, Geist, Leere – Teil 4

PJ: Welcher Art ist dieses Ende? 

K: Was meinst du überhaupt mit ›Ende‹? Nehmen wir das Wort ›Ende‹. Ich muss mir im Klaren darüber sein, was ich sage und was du sagst. Ich muss Klarheit haben, dass wir beide dasselbe meinen, wenn wir bestimmte Worte benutzen – ›etwas beenden‹. Abhängigkeit beenden. Dieses oder jenes nicht tun. Nicht rauchen. Aufzuhören damit. Das Enden.

PJ: Der Fluss hört auf zu fließen.

K: Ja, wenn du so willst; ja. Der Strom von Denken und Zeit hört auf zu fließen – psychisch. Was ist dein Problem? Du machst eine einfache Sache schrecklich kompliziert. 

PJ: Nein, es gibt einen Moment der Wahrnehmung, der ein Moment der Einsicht ist.

K: Ja.

PJ: Was ist dieser Moment der Einsicht?

K: Was meinst du mit ›Moment der Einsicht‹? 

PJ: In welcher Raum-Zeit-Welt sehe ich es?

K: Schau, Pupul, lass uns ganz einfach bleiben. Zeit-Denken hat die Welt gespalten: politisch, geografisch, religiös. Das ist eine Tatsache. Kannst du diese Tatsache nicht sehen?

PJ: Nein, ich schaue mich außen um, und ich sehe …

K: Nein, warte, warte. Schaue nicht außen. Das ist …

PJ: Nein; ich sehe die Tatsache nicht.

K: Was meinst du mit ›Ich sehe die Tatsache nicht‹?

PJ: Würde ich die Tatsache sehen, würde ich sie wirklich sehen …

K: Dann würdest du damit aufhören.

PJ: Dann wäre es mit all dem vorbei.

K: Das sage ich ja.

PJ: Warum, wenn es so einfach ist – was ich aber nicht glaube, weil es dabei so viele verschlungene Wege gibt …

K: Nein. (Nachdrücklich) Das ist ja der Punkt. Wenn du die Einsicht hast, wenn du erkennst, dass der Vorgang des Zeit-Denkens trennend wirkt – auf jeder Ebene, in jedem Bereich, auf jedem Gebiet –, dass es eine endlose Fortsetzung der Konflikte ist …

PJ: Ja, das kann man sehen, wenn es sich um eine äußere Angelegenheit handelt.

K: Kannst du dieses Geschehen in der Außenwelt sehen, kannst du sehen, was es in der Welt anrichtet, welches Elend dadurch in der Welt entstanden ist? Im Innern bildet der Vorgang die Psyche, die aus Zeit-Denken besteht; die Psyche ist also eine Abfolge aus Zeit-Denken. Diese inneren Vorgänge haben all das geschaffen. (Zeigt nach draußen). Ganz einfach. Die trennenden psychischen Vorgänge haben die äußeren Tatsachen erzeugt. Ich bin Hindu. Ich bin Deutscher. Ich fühle mich sicher durch dieses Wort. Ich fühle mich sicher durch das Gefühl, irgendwo dazuzugehören. 

PJ: Weißt du, Krishnaji, ich würde sagen, dass man all das – ein Hindu zu sein oder habgierig zu sein – als Produkt dieses Zeit-Denkens erkannt hat.

K: Das ist doch, was ich sage.

PJ: Aber es ist nicht ganz …

K: Was ist dein Problem? 

PJ: In all dem existiert ein Gefühl von ›Ich bin‹.

K: Das ist der springende Punkt. (Nachdrücklich) Du erkennst nicht, dass das die Psyche ist.

PJ: Ja, das ist der eigentliche Kern des Problems. 

K: Aber warum erkennst du es nicht? Weil – es ist ganz einfach, warum machst du es kompliziert? Du glaubst, die Psyche sei etwas anderes als ein Zustand der Konditionierung. Du glaubst, dass es in dir  – im Gehirn oder sonst wo – etwas gibt, das zeitlos ist, das Gott ist, das dies ist oder jenes, und dass alles in Ordnung wäre, wenn du damit in Kontakt kommen könntest. Das ist Teil deiner Konditionierung. Weil du unsicher bist, weil du verwirrt bist, gibt dir Gott oder das Höchste Prinzip oder irgendeine Überzeugung Sicherheit, Schutz, Gewissheit. Das ist alles.

PJ: Was ist das Wesen der Quelle, aus der Erkenntnis entspringt? 

K: Ich habe es dir gesagt. Einsicht ist nur möglich, wenn man frei von Zeit und Denken ist.

PJ: Zeit und Denken. Siehst du, es nimmt irgendwie kein Ende.

K: Nein. So ist es nicht. Wie die meisten von uns, machst du eine ganz einfache Tatsache kompliziert. In Frieden leben bedeutet, aufzublühen; es bedeutet, die außergewöhnliche Welt des Friedens zu verstehen. Durch das Denken kann kein Frieden entstehen.

PJ: Weißt du – bitte versteh, Krishnaji – es ist doch das Gehirn, das dieser Aussage zuhört.

K: Ja, es hört zu. Und was geschieht dann? Einen Augenblick. Was geschieht? Wenn es zuhört, ist es still.

PJ: Es ist still.

K: Es grübelt nicht. Es macht nicht weiter, wenn du verstehst, was ich meine, es rattert nicht mehr. Es ist still.

PJ: Ja, es ist still.

K: Warte, warte. Wenn es tatsächlich fühlbar zuhört und die Stille nicht erzeugt wurde, dann ist Einsicht da. Ich muss die Begrenztheit des Denkens nicht auf zehn verschiedene Arten erklären. Es ist so.

PJ: Ich verstehe, was du sagst. Gibt es außerdem noch etwas?

K: Oh, ja. Oh Gott, da ist noch viel mehr. Und zwar: Ist Zuhören nur möglich, wenn es mit einem Ton verbunden ist – einem Klang in einem bestimmten Bereich, oder gibt es auch ein Zuhören, beispielsweise wenn du etwas sagst, ohne den Lauten der Sprache zu lauschen? Ich sage, dass ich nicht zuhöre, wenn die Laute der Sprache da sind, sondern ich nur die Worte verstehe. Aber du willst mir etwas vermitteln, was weit über die Worte hinausgeht. Wenn die Worte in meinem Hören einen Klang erzeugen, kann ich das, was du sagst, nicht in seiner ganzen Tiefe verstehen. Ich will also noch viel mehr ergründen – und zwar das, womit wir anfingen, nämlich die Gegenwart.

PJ: Ja.

K: Die Gegenwart ist das ›Jetzt‹. Das ›Jetzt‹ ist der ganze Strom des Zeit-Denkens.

PJ: Ja.

K: Das Jetzt ist dieses ganze Gebilde. Wenn das Gebilde aus Zeit und Denken sich auflöst, dann hat das ›Jetzt‹ eine völlig andere Bedeutung. Das ›Jetzt‹ ist dann nichts. Und nichts enthält alles. Ich meine, die Null enthält alle Zahlen, nicht wahr? 

PJ: Ja.

K: Aber wir haben Angst davor, nichts zu sein.