Wo fange ich an? – Teil 1

Pupul Jayakar (PJ): Krishnaji, vor drei Tagen begannen wir, falls du dich noch daran erinnerst, über die Grundlage eines Geistes zu sprechen, aus dem ein neuer Geist hervorgeht. Während dieses Gesprächs sagtest du, dass das Neue nie aus einer Grundlage hervorgehen kann, die nichts anderes ist als Konflikt, Angst und Wut. Du sagtest, dass etwas völlig Neues entstehen muss. Und du sprachst auch über die Sinne, wenn sie gleichzeitig und mit höchster Vollkommenheit arbeiten. Ich möchte mit einer Frage beginnen: Ich komme als Neuling zu diesen Gesprächen und höre, was du sagst. Wo fange ich an?

J. Krishnamurti (K): Anfangs wirst du wahrscheinlich nicht wissen, was du damit anfangen sollst. Du wirst nicht wissen, worüber K spricht. Wir müssen also zunächst die sprachliche, die semantische Bedeutung klären und uns auch mit unserer Beziehung zur Natur befassen. Ja, damit würde ich anfangen.

Ich würde fragen, warum es hier gar keine wilden Tiere gibt. Ich würde mich mit dieser Frage eingehender beschäftigen, denn wenn wir den Kontakt zur Natur verlieren, von der wir ein Teil sind, werden wir den Kontakt zur Menschheit, zu unseren Mitgeschöpfen verlieren. Ich würde da anfangen – mit meiner Beziehung zur Natur, mit meiner Beziehung zu dieser ganzen Schönheit. 

Pupul, wie betrachtest du die Natur? Wie schaust du diese Hügel an, die zu den ältesten Bergen der Welt gehören sollen? Wie schaust du diese Felsen und Bäume, die ausgetrockneten Flüsse und Bäche an? Wie betrachtest du die armen Dorfkinder, die täglich fünfzehn Kilometer zur Schule laufen müssen? Wie betrachtest du diese armen Leute, die nicht genug zu essen haben?

PJ: Du sagst damit also, dass man im Äußeren mit dem Forschen beginnen muss. 

K: Absolut. Weißt du, Pupul, wenn ich nicht über die offenkundigen Kriterien des gesunden Menschenverstandes verfüge, wie kann ich mich dann jemals selbst klar sehen? Verstehst du? 

PJ: Ja, ich verstehe.

K: Denn im Äußeren werde ich selbst sichtbar. Ich bin Teil der Natur. Wie kann ich mich je selbst klar wahrnehmen, wenn ich nicht die Schönheit der Landschaft verstehe, der Flüsse und jedes einzelnen Teils dieser außergewöhnlichen Welt, in der wir leben – und diese brutale Welt, in der wir leben, mit all der Grausamkeit, dem Terror und so weiter? Was für eine Beziehung habe ich zu all dem? Bin ich blind für all das? Schweige ich zu all dem? Oder werde ich von bestimmten Überzeugungen beherrscht? Und Überzeugungen sind ein Produkt des Denkens, die Natur dagegen nicht. 

PJ: Wir glauben, dass wir die Natur betrachten. Wir glauben, dass wir die Bäume, die Blumen und die Felsen betrachten. Wir haben das Gefühl, dass wir schauen. Da wir Augen haben, haben wir das Gefühl, dass wir schauen. Aber da ist etwas in diesem Schauen und in dieser Beziehung, von der du sprichst, das ganz offensichtlich nicht das Schauen ist, an das wir gewöhnt sind. 

K: Wie schaust du die Natur an? Betrachtest du sie nur mit deinen Augen? Ist die Wahrnehmung der langen Schatten am Abend und der sehr kleinen Schatten der Mittagssonne nur eine visuelle Wahrnehmung? Das heißt, betrachtest du diese wunderbaren Schatten nur mit den Augen? Oder betrachtest du sie mit deinem ganzen Wesen, mit allen Sinnen? Wie schaust du das alles an? Wie nimmst du es wahr? Nimmst du es als etwas wahr, das außerhalb von dir ist, oder als etwas, wovon du ein Teil bist? 

PJ: Ich denke, man kann wirklich sagen, dass es ein Schauen gibt, bei dem der Sehende nicht existiert. Aber da will ich nicht anfangen. Deshalb komme ich zu dir als Anfänger, als jemand, der sagt: »Ich schaue mit meinen Augen.« Damit will ich anfangen. 

K: Und ich würde darauf erwidern: Schaust du nur? Oder hörst du auch – hörst du das Flüstern zwischen den tiefen Schatten der Bäume, den Klang des Windes und des fließenden Wassers? Ich frage dich: Hörst, siehst und fühlst du?

PJ: Wenn man sieht, hört und fühlt, ist das ein Zustand, in dem alles da ist. Aber darüber weiß ich nichts. Ich würde also lieber vom Standpunkt eines Anfängers an die Sache herangehen, als von irgendeinem anderen Standpunkt aus. 

K: Würdest du zustimmen, wenn ich sage, dass die Menschen den Kontakt zur Natur verloren haben? 

PJ: Ja, vollkommen. Denn wenn sie schauen, dann gleiten ihre Augen flüchtig über die Dinge hinweg. Sie schauen nie direkt. Sie schauen nie! Sie halten es für zu belanglos.

K: Das ist es. Sie halten das Betrachten der Natur für etwas Belangloses. Sie halten die Natur für etwas, das man ausbeuten kann. 

PJ: Der Geist hat sich selbst gespalten. Für ihn ist das Anschauen eines Blattes oder der Bewegung eines Blattes etwas Unwichtiges; das Wichtige muss immer etwas Großartiges sein. 

K: Fangen wir also an. Was ist wichtig? Was ist wichtig für den normalen Menschen, den Durchschnittsmenschen? Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf – das ist alles, was ihn interessiert. 

PJ: Nein. Darüber hinaus gibt es das Heilige, das Göttliche, Gott. 

K: Natürlich, aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Ich fange einfach mit den Bedürfnissen an – Nahrung, Kleidung, Unterkunft. Wenn der Mensch das alles hat, fängt er an, über Gott nachzudenken, über Gott als etwas Außergewöhnliches …

PJ: Und er will sich ihn als etwas Unermessliches vorstellen …

K: Er sieht den Abendhimmel und die aufgehende Sonne und die ganze Herrlichkeit dieser Welt, und er sagt: »Wer hat das alles geschaffen?« Nicht wahr?

PJ: Die Fähigkeit, zu erkennen, dass das Kleine und das unermesslich Große gleich wichtig sind …

K: Ja, es gibt kein groß und klein.