Der Geist und das Herz – Teil 3
K: (Fortsetzung) Wie untersucht man diese Frage? Ich kann sie nur Tatsache für Tatsache untersuchen; ich darf keine Theorien darüber aufstellen. Ich sehe das Wahrnehmen als Tatsache; ich sehe die Regungen des Denkens als Tatsache. Und ich frage: Gibt es, wenn das Denken sich nicht regt, eine innere Regung ohne Worte? Habe ich mich verständlich ausgedrückt?
Gibt es, wenn das Denken – das ja eine innere Regung ist – völlig zum Stillstand kommt, eine gefühlsbedingte Regung wie Liebe, Hingabe, Zärtlichkeit oder Fürsorglichkeit? Gibt es eine innere Regung, die vom Denken unabhängig ist – vom Denken, das auf Worten beruht, auf Bedeutungen, Erklärungen, Beschreibungen und so weiter. Ist, wenn der Vorgang des Denkens ohne Zwang aufhört, nicht eine völlig andere Bewegung da, die weder dies noch das ist?
PJ: So ist es – aber ich sage das sehr, sehr zögernd. Es gibt einen Zustand, in dem man sich fühlt, als käme man in den Genuss eines Lebenselixiers, man fließt über; es ist ein Zustand, in dem nur noch das Herz existiert. Ich spreche in Bildern. Man ist in diesem Zustand durchaus handlungsfähig, man kann etwas tun, man kann denken, alles ist möglich. Und dann gibt es einen Zustand, in dem das Denken aufgehört hat und der Geist ganz klar und wach ist, aber das Elixier ist nicht da.
K: Bleiben wir bei einer Sache. Was ist der trennende Faktor?
PJ: Das Trennende ist ein echte körperliche Empfindung; es ist nichts Erdachtes. Es ist, wie wenn sich Wasser kräuselt; dieses Kräuseln ist etwas sehr Reales.
K: Davon spreche ich nicht. Welcher Faktor in uns bewirkt die Aufspaltung in die gefühlsbedingten Regungen einerseits und die intellektuellen Regungen des Denkens andererseits? Warum gibt es diese Trennung zwischen Körper und Seele?
PYD: Würdest du einräumen, dass gerade der Verstand erkennt, dass es eine Regung gibt, die vom Denken ausgeht, und eine andere, die vom Herzen ausgeht? Man kann das beobachten.
K: Ich frage: Warum gibt es da eine Trennung?
PYD: Die Hand ist etwas anderes als das Bein.
K: Sie haben unterschiedliche Funktionen.
PYD: Und so gibt es die Funktion des Gehirns und die Funktion des Herzens.
AP: Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass, wenn die gedankliche Tätigkeit aufhört, man sich des ganzen Körpers bewusst ist, den reines Empfinden erfüllt. Da ist kein Denken mehr, sondern nur noch reines Empfinden.
PJ: In der indischen Tradition gibt es den Begriff rasa, der dem, was Krishnaji sagt, sehr nahe kommt. Die Tradition kennt verschiedene Arten von rasa: rasa heißt Essenz; es ist das, was uns erfüllt und durchdringt. Aber rasa ist ein Wort, das wir genauer untersuchen müssten.
PYD: Es bedeutet Gefühl.
PJ: Es ist weit mehr als das, rasa ist Essenz.
K: Bleiben wir bei dem Wort ›Essenz‹, ›Duftstoff‹. Essenz bedeutet ›das, was ist‹. Was geschieht also? Beim Beobachten der gesamten Denkvorgänge, beim Beobachten der Bewusstseinsinhalte, tritt die Essenz hervor. Und wenn wir die Regungen des Herzens beobachten, zeigt sich in diesem Wahrnehmen ebenfalls die Essenz. Die Essenz ist dieselbe, egal, ob da oder dort.
AP: Das sagen auch die Buddhisten.
K: Wenn die gesamten Regungen des Denkens als Bewusstsein wahrgenommen werden – als Bewusstsein mit seinen Inhalten, die ja das Bewusstsein bilden – und wenn diese Regungen beobachtet werden, dann ist genau dieses Beobachten die äußerliche Verfeinerung, die die Essenz ist. Nicht wahr? Und das gilt auch für das Wahrnehmen der gesamten Regungen des Körpers, der Liebe, der Freude. Wenn man all das wahrnimmt, liegt darin die Essenz. Und in diesem Wahrnehmen gibt es keine zwei [verschiedenen] Essenzen.
Was beinhaltet es, wenn man das Wort ›Essenz‹ verwendet? Es ist die Essenz der Blume, die den Duftstoff ergibt. Die Essenz muss Wirklichkeit werden. Aber wie erzeugt man sie? Destilliert man sie heraus? Wenn man Blüten destilliert, ist der Duftstoff ihre Essenz.
PYD: Wenn die Verunreinigungen weg sind, bleibt die reine Essenz.
MF: Es gibt auch die Essenz der Freundschaft, der Zuneigung.
K: Nein, nein. In diesem Zusammenhang würde ich das Wort ›Essenz‹ nicht benutzen – als ›Essenz der Freundschaft‹, ›Essenz der Eifersucht‹. Nein, nein.
MF: Was verstehst du unter ›Essenz‹?
K: Schau, ich habe darauf geachtet, was wir während dieser Diskussionen gemacht haben. Wir haben die Aktivitäten des Denkens beobachtet, wie sie das Bewusstsein bilden; wir haben das als Ganzes beobachtet – der Inhalt dieser Aktivitäten ist das Bewusstsein. Wir nehmen das wahr. Dieses Wahrnehmen ist das Destillat, und das nennen wir ›Essenz‹, und das ist reine Intelligenz. Es ist weder meine Intelligenz, noch deine oder Ihre, es ist einfach Intelligenz. Es ist die Essenz. Wenn wir Gemütsbewegungen wie Liebe, Hass, Lust und Angst beobachten, ist reines Wahrnehmen da. Und während man wahrnimmt, tritt die Essenz hervor. Es gibt keine zwei verschiedenen Essenzen.
PYD: Jetzt kommt meine Frage: In welchem Verhältnis steht die Essenz, wie du sie wahrnimmst, zur Einzigartigkeit? Sind diese Begriffe nicht austauschbar?
K: Ich würde lieber das Wort ›Essenz‹ benutzen.
PJ: Die großen Meister der Alchimie wurden rasasiddhas genannt.
PYD: ›Diejenigen, die in rasa ruhen‹, das heißt, diejenigen, die es erreicht haben, deren Sein darin ruht.
K: In den vergangenen Tagen und auch früher schon haben wir uns die Regungen des Denkens angesehen. Wir haben sie uns angesehen ohne auszuwählen, und darin liegt die Essenz. Aus diesem Beobachten ohne auszuwählen, geht die Essenz des einen und die Essenz des anderen hervor. Was ist also Essenz? Ist sie eine Verfeinerung der Gefühle oder hat sie gar nichts mit Gefühlen zu tun? Und doch steht sie in einem Zusammenhang, denn sie wurde beobachtet. Nicht wahr?
PJ: Also ist Energie, die ja Aufmerksamkeit ist …
K: Energie ist Essenz.
PJ: Obwohl sie auf die Materie einwirkt, hat die Essenz mit beiden nichts zu tun.