Der Geist und das Herz – Teil 4
K: Fangen wir noch einmal ganz langsam mit der Essenz an. Hat sie nichts mit dem Bewusstsein zu tun? Ich gehe davon aus, dass man das Bewusstsein beobachtet hat. Man hat die Regungen des Bewusstseins als Denken wahrgenommen und als Inhalt dieses Bewusstseins, der Zeit ist. Und allein das zu beobachten – die Flamme des Beobachtens – destilliert die Essenz heraus. Nicht wahr?
Und auf dieselbe Weise bringt die Flamme des Wahrnehmens die Essenz der Gefühlsregungen zum Vorschein. Deine Frage war nun: Welche Beziehung besteht nun zwischen dieser Essenz und den Gefühlen. Überhaupt keine; die Essenz hat nichts mit der Blüte zu tun. Obwohl die Essenz Teil der Blüte ist, ist sie nicht von ihr. Ich weiß nicht, ob du das sehen kannst.
MF: ›Obwohl die Essenz Teil der Blüte ist, ist sie nicht von ihr.‹ Wie kann das sein – schon grammatikalisch?
K: Schauen Sie, ich habe vor ein paar Tagen gesehen, wie aus der Rinde eines Baumes irgendeine Art von Alkohol gemacht wurde. Diese Essenz ist nicht die Rinde.
MF: Aber sie ist in der Rinde.
PYD: Und wird durch die Hitze heraus destilliert.
K: Die Glut des Wahrnehmens erzeugt die Essenz. Wie lautet also die Frage? Steht die Essenz in Beziehung zum Bewusstsein? Ganz offensichtlich nicht. Der entscheidende Punkt ist hier die Flamme des Wahrnehmens; die Flamme des Wahrnehmens ist die Essenz.
PYD: Sie erzeugt die Essenz, und sie ist die Essenz.
K: Sie ist die Essenz.
PJ: Ist Wahrnehmen der Moment der Schöpfung?
PYD: Erschaffen wir, was wir wahrnehmen?
K: Ich weiß nicht, was du mit Schöpfung meinst.
PJ: Etwas ins Dasein rufen, das vorher noch nicht da war.
K: Ist Wahrnehmen Schöpfung? Was meinst du mit Schöpfung? Ich weiß, was Wahrnehmen bedeutet. Bleiben wir bei diesem Wort. Ich weiß nicht, was mit Schöpfung gemeint ist. Ein Kind zeugen? Brot backen?
PYD: Nein, das würde ich nicht sagen. Sich von hier nach dort zu bewegen ist auch etwas Schöpferisches.
K: Führe nicht alles auf Schöpfung zurück. Ins Büro zu gehen hat nichts mit Schöpfung zu tun. Was bedeutet es, etwas zu erschaffen, etwas zu erzeugen, das vorher nicht da war? Was bedeutet es beispielsweise, eine Statue zu erschaffen? Was wird ins Dasein gerufen? Die Essenz? Es gibt nur zwei Dinge, die erzeugt werden können: Gedanken und Gefühle.
PYD: Ins Dasein rufen bedeutet ›sichtbar gewordene Essenz.‹
K: Ich frage dich: Was ist Schöpfung? Ich weiß es nicht. Bedeutet es, etwas Neues entstehen lassen, das nicht den Stempel des Bekannten trägt?
PJ: Schöpfung bedeutet etwas Neues entstehen lassen, etwas, das nicht aus dem Alten stammt.
K: Lass uns deshalb Klarheit schaffen. ›Etwas völlig Neues entstehen lassen‹ – auf welcher Ebene? Gib Acht. Auf der Ebene der Sinne, der Ebene des Verstandes, der Ebene des Gedächtnisses – wo? ›Etwas Neues entstehen lassen‹ – so dass man es sieht, so dass man es sich vorstellen kann? Wenn du davon sprichst, etwas völlig Neues entstehen zu lassen, auf welcher Ebene geschieht das?
PJ: Auf der Ebene der Sinne.
K: Auf der Ebene der Sinne? Nimm beispielsweise ein Bild, das ja nicht aus Worten besteht. Kannst du etwas völlig Neues malen? Das heißt, kannst du etwas entstehen lassen, das kein Ausdruck des Ichs ist? Wenn es ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist, ist es nicht neu.
PJ: Wenn Schöpfung etwas völlig Neues ist, das nichts mit irgendeinem Ausdruck des eigenen Ichs zu tun hat, dann hört wahrscheinlich jeglicher Ausdruck des eigenen Ichs auf, dann hört jegliche Manifestation auf.
K: Warte, warte.
PJ: Ich sage das, weil nichts existiert, das kein Ausdruck des Ichs ist …
K: Darauf will ich ja hinaus. Der Mensch, der den Düsenantrieb entdeckt hat – im Moment der Entdeckung war das kein Ausdruck des Ichs. Er übersetzte es [danach] in ein sichtbares, äußeres Zeichen der eigenen Persönlichkeit. Etwas wird entdeckt, und dann wird eine Formel aufgestellt. Ich weiß nur, dass die Flamme des Wahrnehmens die Essenz hervorgebracht hat, und jetzt stellt sich die Frage: Hat diese Essenz irgendein sichtbares, äußeres Zeichen? Erzeugt sie irgendetwas Neues?
PYD: Sie erzeugt eine neue Wahrnehmung.
K: Nein. Es gibt keine neue Wahrnehmung; die Flamme ist das Wahrnehmen. Die Flamme ist immer eine Flamme. In einem Augenblick ist die reine Flamme des Wahrnehmens da, dann wird sie wieder vergessen, dann ist sie wieder da, dann wird sie wieder vergessen. Die Flamme ist jedes Mal neu.
PYD: Das Wahrnehmen berührt die Materie und es gibt eine Explosion und eine Umwandlung. Man kann nicht sagen, was daraus hervorgeht. Es ist die Entdeckung des Düsenantriebs.
K: Drücken wir es so aus. Wenn in der Essenz ein Handeln stattfindet, hat das nichts mit einem Ausdruck des Ichs zu tun. Es geht nur um das Handeln. Handeln entspringt dann der Ganzheit und nicht einem unvollständigen Teil.
PJ: Ich möchte noch eine Frage stellen. Die Manifestation dieser …
K: Ist Handeln.
PJ: Findet da ein Kontakt mit der Materie statt?
AP: Wir folgen dir, soweit es das Wahrnehmen betrifft.
K: Nein, ihr seid noch weiter gegangen. Es gibt ein Wahrnehmen, das eine Flamme ist und die hat die Essenz herausdestilliert. Dieses Wahrnehmen mag handeln oder auch nicht. Wenn es handelt, hat es keinerlei Grenzen. Da ist kein ›Ich‹, das handelt. Das ist ganz klar.
PJ: Genau das ist doch Schöpfung. Schöpfung ist nichts anderes als das.
K: Der Ausdruck dieser Essenz ist Schöpfung durch Handeln – nicht altes Handeln oder neues Handeln. Die Essenz ist Ausdruck.
PJ: Dann ist Wahrnehmen auch Handeln?
K: Natürlich. Sieh die Schönheit, die darin liegt. Vergiss das Handeln. Schau, was in dir passiert ist. Wahrnehmen ohne Einschränkung ist eine Flamme. Sie destilliert alles, was sie wahrnimmt, weil sie die Flamme ist.
Da ist dieses Wahrnehmen, das in jedem Augenblick die Essenz herausdestilliert: Wenn du sagst, dass ich ein Narr bin – nimm es wahr. In diesem Wahrnehmen ist die Essenz enthalten. Diese Essenz handelt oder auch nicht – das hängt von der Umgebung ab, davon, wo sie ist. Aber in diesem Handeln gibt es kein ›Ich‹. Es gibt keinerlei Motiv.
Bombay, 19. Februar 1971