Mitgefühl als grenzenlose Energie – Teil 4
AP: Weil wir durch Erfahrung gelernt haben, dass das Denken im Rahmen von Ursache und Wirkung uns nicht vom Rad des Leidens befreien kann.
JU: Welches Instrument wir auch zur Verfügung hatten, Sie haben es zerstört. Bevor uns ein Leiden befällt, haben Sie es schon beseitigt. Das heißt, bevor eine Krankheit ausbrechen kann, wird sie beseitigt. Der kranke Mensch wird weiter leben. Deshalb muss man ihm, wenn er frei von Krankheit sein will, einen Weg zeigen, auf dem er das erreichen kann. Selbst wenn er die Kette von Ursache und Wirkung von sich weist, muss man ihm ihre Nutzlosigkeit zeigen. Ich bestreite nicht, dass das sehr schwierig ist.
AP: Nein. Was Sie sagen, läuft auf die Behauptung hinaus, dass wir das Rad der Zeit nicht loslassen können.
JU: Nein, das sage ich nicht. Ursache und Wirkung geschehen in der Zeit, und wenn Sie sagen, dass am Ende immer noch ein ›Prozess‹ übrig bleibt, so muss das irgendeine Form geistiger Tätigkeit sein. Was immer das auch sein mag, die Frage ist doch: Kann man den Patienten sterben lassen, bevor das Gebrechen geheilt ist? Ich akzeptiere die Tatsache, dass die Kette von Ursache und Wirkung unvollständig ist. Ich verstehe auch, dass das Dilemma nicht gelöst werden kann, solange wir diese Kette nicht durchbrechen. Aber die Sache ist doch sehr einfach: Der Patient muss wiederhergestellt werden, man darf ihn nicht sterben lassen. Man muss die Krankheit heilen, ohne den Patienten umzubringen.
K: Wenn Sie sagen, dass das Leben ein [innerer] Konflikt ist, dann bleiben Sie, wo Sie sind.
PJ: Upadhyayaji versteht das Geschehen des Konfliktes innerhalb der Zeit und erkennt seine Unzulänglichkeit. Aber, um bei dem Bild zu bleiben, das er benutzt, der kranke Mensch, der leidende Mensch, der geheilt werden will, kann sich nicht töten, bevor er geheilt ist. Du verlangst, dass er sich tötet.
K: Was du vorbringst, ist unhaltbar.
PJ: Vielleicht drückt er es anders aus. Vergiss aber auch nicht, dass das ›Ich‹ Konflikt ist. Die Gesellschaft und alles andere ist letztendlich bedeutungslos. Letztendlich geht es um das ›Ich‹. Jegliche Erfahrung und alles Suchen dreht sich um dieses in der Zeit gefangene Denken, das Konflikt bedeutet.
K: Demnach ist das ›Ich‹ also Konflikt.
PJ: Ich sehe auf eine abstrakte Weise, dass es so ist.
K: Nein, es ist nicht auf abstrakte Weise so. Es ist so.
PJ: Vielleicht ist es letztendlich das, was uns daran hindert …
K: Wir wollen ganz einfach bleiben. Ich erkenne, dass mein Leben Konflikt ist. Der Konflikt bin ›ich‹.
AP: Nachdem man die Nutzlosigkeit von Ursache und Wirkung akzeptiert hat, bleibt eine Identifikation mit einem gewissen gewohnheitsmäßigen Reflex. Löst sich diese Identifikation auf oder nicht? Wenn nicht, bewegt sich unser Gespräch nur auf einer theoretischen Ebene.
K: Bring nicht noch mehr Wörter ins Spiel. Wenn du sagst, dass der Konflikt endet, endet dann das ›Ich‹? Oder ist da eine Blockade?
PJ: Ich weiß, was Konflikt ist.
K: Du weißt es nicht. Du kannst es nicht wissen.
PJ: Wie kannst du das sagen?
K: Es ist nur eine Theorie. Erkennst du wirklich, dass du Konflikt bist? Erkenne ich mit jeder Faser, in meinem Herzen, in der Tiefe meines Wesens: »Ich bin Konflikt?« Oder ist das nur eine Vorstellung, der ich entsprechen möchte?
JU: Wenn man akzeptiert, dass die Kausalkette die Einflüsse von Zeit und Raum und der Umstände einschließt, müssen wir erkennen, dass das ein Hauptproblem ist. Es ist wie ein Rad, und keine Bewegung dieses Rades kann das Problem lösen. Wir akzeptieren das aus Gründen der Logik und der Erfahrung. Ich versuche mit Hilfe dieses Vergleichs zu erklären, dass ein Prozess übrig bleiben muss, der im Rad des Leidens abläuft. Auch wenn es keine Krankheit gibt und das Rad des Leidens nicht existiert, muss noch irgendein Grundelement des Lebens übrig bleiben.
AP: Ein Prozess bedeutet Kontinuität.
JU: Was ist es dann? Ist es unveränderlich?
AP: Wenn Wahrnehmen und Handeln nicht mit der Vergangenheit verbunden sind, ist dies das Ende des Fortbestehens.
K: Ich weiß nur, dass mein Leben aus einer Folge von Konflikten besteht, bis ich sterbe. Das ist unser Leben. Kann der Mensch sich das eingestehen?
Ich bin ein vernünftiger Mensch, ein denkender Mensch, und ich frage mich: »Muss ich immer so weitermachen?« Dann kommen Sie daher und sagen zu mir: »Finden Sie heraus, ob es eine andere Art des Schauens, des Handelns gibt, in der das nicht enthalten ist – denn das ist die Kontinuität.« Sie sagen mir auch, dass es eine andere Möglichkeit gibt, die nicht so ist, und dass Sie sie mir zeigen werden.
JU: Ich akzeptiere, dass dieser Kreislauf des Fortbestehens, in dem ich mich bewege, uns nirgendwo hinführt. Bis zu diesem Punkt folge ich Ihnen. Wo es um Erfahrung geht, mache ich meinen Standpunkt mit Hilfe eines Beispiels deutlich. Aber Sie ziehen mir den Boden unter den Füßen weg, indem Sie sagen, dass ich das Fortbestehen loslassen muss. Wenn das Fortbestehen abgeschnitten wird, verschwindet auch die Frage. Wie kann ich also den Vorschlag akzeptieren, das Fortbestehen völlig von mir zu weisen?
AP: Deshalb müssen Sie alle Beispiele oder Vergleiche loslassen. Lassen Sie alle Verankerungen der Vergangenheit los.
JU: Die Vergleiche loslassen bedeutet nicht, dass es aufhört. Und solange kein Ende da ist, wie kann es da einen neuen Anfang geben?
K: Wer sagt das?
AP: Du hast gesagt, dass dies Zeit ist; du sagst, verneint die Zeit.
RB: Upadhyayaji meint: Das Leben ist Konflikt, Zeit, Denken, und er akzeptiert, dass das verschwinden muss.
K: Ich habe nicht gesagt, dass irgendetwas verschwinden muss.
JU: Wenn das verschwindet, welche Verbindung besteht dann noch zwischen dem, was da ist, und dem, was sein wird?