»Was soll ich tun?« – Teil 2
»Selbstverständlich, dazu bin ich doch hier. Ob ich will oder nicht, ich muss, denn so geht es nicht mehr weiter. Was soll ich also tun?«
Öffnen und schauen. Wenn man Reichtümer sammelt, muss man verletzen, hart und engherzig sein. Ohne Grausamkeit, schlaue Berechnung, Unredlichkeit geht es dabei bestimmt nicht ab. Dann gehört dazu jenes ehrgeizige Streben nach Macht, jenes ichbezogene Tun und Treiben, das sich hinter so schönen Bezeichnungen wie Verantwortung, Pflicht, Leistung oder gutes Recht zu verstecken pflegt.
»Ja, das ist Wort für Wort richtig, das und noch mehr. Ich habe nie auf andere Rücksicht genommen, meine religiösen Übungen dienten nur der Hebung meines Ansehens. Wenn ich das alles so bedenke, dann wird mir erst klar, dass sich immer alles um meine Person drehen musste. Ich war der Mittelpunkt, obwohl ich mir einredete, ich sei es nicht. Das sehe ich jetzt alles ein. Aber was soll ich nun bei alldem tun?«
Das erste ist, dass Sie das alles in seinem ganzen Umfang und in seiner vollen Tragweite erkennen. Wie aber könnten Sie imstande sein, alle diese bösen Dinge ungeschehen zu machen und aus der Welt zu schaffen, ohne dass Sie der Herzenswärme der Liebe teilhaftig wären, die eine Flamme ohne Rauch ist. Diese Flamme allein verzehrt den verfluchten Inhalt des geöffneten Faches, an dessen zäher Lebenskraft jede andere Waffe, ob Analyse, ob Opfer, ob Entsagung, zuschanden wird. Wenn diese Flamme brennt, dann bedarf es keines Opfers und keiner Entsagung mehr, dann treten Sie dem Sturm entgegen, ohne erst lange auf ihn zu warten.
»Wie sollte ich denn lieben können? Ich weiß, dass ich kein warmes Gefühl für andere Menschen kenne, ich war grausam, und die zu mir gehörten, sind mir entfremdet. Jetzt bin ich mutterseelenallein, wie sollte ich da etwas von Liebe wissen? Ich bin nicht so närrisch zu glauben, dass ich sie durch irgendeinen bewussten Willensakt erlangen, durch ein Opfer oder einen Verzicht erkaufen könnte. Ich weiß, dass ich nie geliebt habe und dass ich nicht in dieser Lage wäre, wenn ich je geliebt hätte. Was soll ich tun? Soll ich meinen Besitz, mein Vermögen verschenken?«
Wenn Sie entdecken, dass in Ihrem sorgsam gepflegten Garten nur giftiges Unkraut wächst, dann müssen Sie das Zeug mit der Wurzel ausreißen, dann müssen Sie die Mauern niederreißen, in deren Schutz es gedieh. Das können Sie tun oder auch lassen, denn Sie besitzen ja weite Gärten, alle sinnvoll ummauert und wohlgeschützt. Sie dürfen es nur tun, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, aber getan muss es auf alle Fälle werden, denn reich sterben heißt umsonst gelebt zu haben. Über diesen Niederungen aber muss die Flamme brennen, die Verstand und Herz von Schlacken reinigt und alles neu macht. Diese Flamme hat mit Verstand und Denken nichts gemein, sie kann daher auch nicht durch den Verstand genährt und entfacht werden. Auch Güte kann leuchten, aber sie ist nicht die Flamme. Der Eifer, den man Dienst am Nächsten nennt, mag segensreich und notwendig sein, aber er ist nicht Liebe, die vielgeübte und auf innere Zucht gegründete Duldsamkeit, das Mitleid, das in Kirche und Tempel gepflegt und gelehrt wird, die freundliche Rede, das verbindliche Wesen, die Verehrung eines Heilands, eines Vorbilds, eines Ideals – nichts von alledem ist Liebe.
»Ich habe Augen und Ohren offengehalten und bin mir daher selbst darüber klar, dass dieses ganze sogenannte ›Gutsein‹ mit Liebe nichts gemein hat. Aber mein Herz ist leer, wie soll ich es füllen? Was soll ich tun?«
Alles Anhangen, Nicht-missen-können ist der Tod der Liebe. Leiden ist keine Liebe, Eifersucht mag noch so stark sein, sie kann die Liebe nicht binden. Jeder Sinnenreiz und seine Lust haben einmal ein Ende, wahre Liebe aber ist unerschöpflich.
»Das alles sind für mich nur Worte Ich verhungere, bitte speisen Sie mich!«
Speise erfüllt ihren Zweck nur, wo Hunger herrscht. Wenn Sie hungrig sind, werden Sie auch die Speise finden, die Sie satt macht. Ich frage aber: hungern Sie wirklich oder verspüren Sie nur Appetit auf einen neuen, nie gekosteten Leckerbissen? Auch dann werden Sie finden, was Ihren Gaumen kitzelt, aber es wird Ihnen nicht lange schmecken – Liebe ist es auf keinen Fall.
»Aber was soll ich tun?«
Sie stellen immer wieder die gleiche Frage. Was sie tun sollen, ist ganz unwichtig, es kommt einzig und allein darauf an, dass Sie sich vorbehaltlos darüber Rechenschaft geben, was Sie tun. Sie machen sich Gedanken über Ihr zukünftiges Verhalten und versuchen auf diese Art nur, der Forderung des Augenblicks auszuweichen. In Wirklichkeit wollen Sie nichts tun, darum fragen Sie in einem fort, was Sie tun sollen. Sie bieten schon wieder Ihre Gerissenheit auf, um sich selbst zu täuschen, und darum ist auch Ihr Herz so leer. Sie möchten es mit den Früchten Ihres Denkens füllen, aber Liebe hat mit Denken nichts gemein. Lassen Sie Ihr Herz leer, füllen Sie es nicht mit Worten, die Ihnen der Verstand so bereitwillig liefern möchte, lassen Sie das Herz ganz leer sein, nur dann kann es der wahren Fülle teilhaftig werden.