Zweckfrei handeln – Teil 2
Kann man zweckbestimmtes Handeln überhaupt Wirken nennen? Wenn ich mit meinem Handeln ein Ziel erreichen will, einem Ideal nachstrebe – kann ich dann sagen: Ich wirke? Kann Handeln, das einem Ergebnis dient, überhaupt je ein Wirken sein?
»Wie soll man denn handeln, wenn man nicht weiß, was man will?«
Sie sprechen also nur von Handeln, wenn Sie ein Ergebnis, ein Ziel vor Augen haben, nicht wahr? Sie stecken sich dieses Ziel selbst, Sie hegen eine Idee, eine Überzeugung und arbeiten darauf hin. Dieses Hinarbeiten auf einen Gegenstand, einen Zweck, ein materielles oder geistiges Ziel ist das, was man gemeinhin Handeln nennt. Im Bereich des Gegenständlichen leuchtet das ohne weiteres ein, so zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Brücke zu bauen, aber zweifellos spielt sich der gleiche Vorgang auch in den Bezirken des Geistigen ab. Oder reden wir etwa nicht von geistigen Zielen, von der Ideologie, dem Ideal, der Überzeugung, auf die wir hinarbeiten? Würden Sie dieses Hinarbeiten auf ein geistiges Ziel ebenfalls Handeln nennen?
»Zielloses Handeln ist überhaupt kein Handeln, es bedeutet den Tod. Müßiggehen heißt sterben.«
Müßiggehen ist nicht das Gegenteil von Handeln, sondern ein Zustand ganz anderer Art, aber das spielt im Augenblick keine Rolle. Wir können uns später darüber unterhalten, zunächst aber bleiben wir bei unserem Anliegen. Auf ein Ziel, ein Ideal hinarbeiten nennt man also gemeinhin ›handeln‹, nicht wahr? Nun erhebt sich die Frage: Woher stammt dieses Ideal? Unterscheidet es sich wesentlich von dem, was ist, von der Wirklichkeit? Ist etwa die Antithese losgelöst und getrennt von der These denkbar? Ist das Ideal der Gewaltlosigkeit mehr als der Gegensatz zur Tatsache der Gewalt? Nein, Ideale fallen nicht vom Himmel, sie sind samt und sonders Kinder unserer eigenen Vorstellung. Sie sind sozusagen hausgemachte Dinge. Wenn Sie daher auf ein Ziel, ein Ideal hinarbeiten, dann erstreben Sie die Verwirklichung selbstentworfener Vorstellungsbilder.
»Sie haben mich nicht davon überzeugt, dass unsere Ideale wirklich nur eigene Vorstellungen sind.«
Sie sind Dieser und möchten ein Anderer werden. Sicherlich ist jener Andere ein gedachtes Wesen, es mag sein, dass er nicht aus Ihrem eigenen Denken stammt, dennoch ist er auf alle Fälle erdacht. Das Denken entwirft sich sein Ideal, und dieses ist und bleibt damit ein Teil des Denkens. Das Ideal ist also nicht irgendein Gebilde abseits und jenseits des Denkens, es ist selbst nichts als Gedanke.
»Was haben Sie dagegen? Warum sollte das Denken nicht Schöpfer des Ideals sein?«
Sie sind Dieser, und das genügt Ihnen nicht, darum möchten Sie der Andere sein. Wenn Sie Diesen, den, der Sie sind, begreifen, wenn Sie Ihrer Selbstheit innewerden könnten, dann würde der Andere überhaupt nicht in Erscheinung treten. Nur weil Sie Diesen nicht begreifen, schaffen Sie den Anderen, um mit seiner Hilfe Diesen, den, der Sie sind, zu erkennen oder ihm zu entkommen. Das Denken schafft sich seine Ideale wie seine Probleme selbst, jedes Ideal ist eine selbstentworfene Vorstellung, und Ihr Streben nach Verwirklichung dieses selbstgeschaffenen Bildes ist das, was Sie Handeln, zweckbestimmtes, zielbewusstes Handeln nennen. Dieses Handeln bewegt sich also notgedrungen immer innerhalb der Grenzen Ihrer eigenen Vorstellungen, ob von Gott oder vom Staat. Hat der Mensch, der auf diese Art hinter seinen eigenen Gedankenbildern herjagt, nicht verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Hund, der seinen Schwanz zu erhaschen sucht?
»Ist es denn überhaupt möglich, losgelöst von Zweck und Ziel zu handeln?«
Selbstverständlich ist das möglich. Sobald Sie innewerden, wie es um das zweckbestimmte Handeln bestellt ist, und damit zur Einsicht in sein wahres Wesen gelangen, sind Sie davon erlöst, und es bleibt nur noch das reine Handeln. Dieses Handeln allein ist echtes Wirken, aus dem alles von Grund auf neu wird.
»Sie meinen, dass wir ohne Beteiligung des Ichs handeln sollten, nicht wahr?«
Ja, ich sprach zwar vom Handeln ohne Idee, aber die Idee ist ja nichts anderes als das Ich, das sich mit Gott oder dem Staat identifiziert. Handelt dieses Ich im Namen der Idee, mit der es sich eins fühlt, so mehren sich nur die Konflikte, die Wirrnis und das Elend. Aber dem sogenannten Tatmenschen fällt es unglaublich schwer, auf die Idee zu verzichten. Ohne seine Ideologie fühlt er sich ganz verloren, und das ist er ja auch in der Tat, denn von diesem Augenblick an sieht er sich nicht mehr als stolzen Mann der Tat, sondern als das, was er in Wahrheit ist, ein armes Menschenkind, das sich im Netz seiner eigenen Wunschvorstellungen verfangen hat und dessen ganzes Tun nur der Selbstverherrlichung dient. Er wird sich darüber klar, dass seine ›Taten‹ nur der Aufspaltung und dem Zerfall der Gesellschaft Vorschub leisten.
»Was soll ich also tun?«
Zutiefst innewerden, wie es um Ihr bisheriges Tun bestellt war. Nur dann finden Sie Zugang zum wahren, von allen Zwecken befreiten Wirken.