Sicherheit – Teil 2

Wenn eine neue Regierung ans Ruder kommt, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass Sie wirklich Ihr Grundeigentum und Ihre Aktien verlieren, aber Sie sind doch noch sehr jung und können auf alle Fälle arbeiten. Millionen haben schon ihre materiellen Güter verloren und verlieren sie noch, und es kann immerhin sein, dass auch Sie sich damit abfinden müssen. Im übrigen sollten wir die Dinge dieser Welt mit anderen teilen und nicht für uns allein zu besitzen trachten. Warum sind Sie in Ihren jungen Jahren schon so sehr auf die Erhaltung Ihres Eigentums bedacht und so besorgt, dass Sie etwas davon verlieren könnten?

»Ich möchte gern ein bestimmtes Mädchen heiraten und werde die Angst nicht los, dass etwas dazwischenkommen und meinen Plan vereiteln könnte. Es ist zwar durchaus unwahrscheinlich, dass noch ein Hindernis eintritt, aber wenn man so aneinander hängt wie wir beide, dann mag schon die entfernteste Möglichkeit einer Störung Grund genug zur Angst sein.«

Meinen Sie, das sei für Sie ein zureichender Anlass, sich zu ängstigen? Sagen Sie nicht selbst, es sei nach menschlichem Ermessen kaum zu erwarten, dass sich Ihrer Heirat noch etwas in den Weg stellt? Warum also diese Angst?

»Ja, es ist richtig, wir können heiraten, wann immer wir uns dazu entschließen, also ist auch das nicht die Ursache meiner Angst, wenigstens nicht für den Augenblick. Ich glaube, ich fürchte mich wirklich vor allem davor, nicht mehr zu sein, meine Identität, meinen Namen zu verlieren.«

Gesetzt den Fall, Ihr Name bedeutete Ihnen gar nichts, Sie besäßen aber, was Sie jetzt besitzen, hätten Sie dann nicht dennoch Angst? Was verstehen wir denn unter Identität? Sie ist doch Bindung an den Namen, an das Eigentum, an eine bestimmte Person oder eine Idee, sie besteht darin, dass man uns mit irgendeiner Sache in Zusammenhang bringt, dass man uns als diesen oder jenen anerkennt, dass wir das Etikett einer bestimmten Gruppe, eines Volkes und dergleichen tragen. Fürchten Sie vielleicht um Ihr Etikett? Ist das der Grund Ihrer Angst?

»Ja, was wäre ich denn, wenn ich es einbüßte? Gewiss, das ist der eigentliche Grund.«

Also sind Sie das, was Sie besitzen. Ihr Name, Ihr Ruf, Ihr Wagen und was Sie sonst noch Ihr eigen nennen, das Mädchen, das Sie heiraten wollen, Ihr Ehrgeiz, Ihre Zukunftspläne – das alles sind Sie. Diese Dinge, ergänzt durch ein paar Werte und Besonderheiten, machen das aus, was Sie ›Ich‹ nennen. Sie sind nichts als die Summe aller dieser Dinge und haben Angst, sie und damit sich selbst zu verlieren. Dabei geht es Ihnen genau wie jedem anderen, die Möglichkeit, sie wirklich einzubüßen, ist immer gegeben, vielleicht kommt eines Tages Krieg oder eine Revolution oder wir bekommen eine Regierung der extremen Linken. Jeden Augenblick kann ein Ereignis eintreten, das Ihnen alles nimmt, was Sie sind und haben.

Warum fürchten wir uns so sehr vor dieser Ungewissheit? Ist denn Ungewissheit nicht das Merkmal alles Irdischen? Wir errichten Mauern, die uns gegen sie schützen sollen, aber alle Mauern können und werden eines Tages niederbrechen. Wir mögen eine Spanne lang verschont bleiben, aber die Gefahr, das Ausgeliefertsein, wird nie von uns weichen. Es gibt kein Mittel, dem zu entgehen, was ist, Ungewissheit ist unser Los, ob es uns gefällt oder nicht gefällt. Auf Ihren Fall angewandt, heißt das nicht, dass Sie schicksalsergeben das Unheil erwarten müssten, dass Sie zu der Gefahr positiv oder negativ Stellung nehmen sollten – Sie sind doch noch jung, warum fürchten Sie sich denn davor, gefährlich zu leben?

»Nach dem, was Sie eben sagten, glaube ich doch nicht, dass meine Angstzustände von dieser Ungewissheit herrühren. Ich arbeite gern, mein Beruf nimmt mich täglich über acht Stunden in Anspruch, obwohl ich ihn nicht sonderlich schätze, komme ich ganz gut voran. Nein, ich fürchte mich nicht davor, mein Vermögen, den Wagen und dergleichen Dinge einzubüßen, und heiraten kann ich ohnedies, sobald es mir und meiner Verlobten passt. Ich sehe jetzt ein, dass mir nichts von all dem solche Angst einjagen könnte. Was bleibt nun aber noch als Ursache übrig?«

Wir wollen zusammen weiter danach suchen. Vielleicht könnte ich es Ihnen schon jetzt auf den Kopf zu sagen, aber dann hätten Sie die Entdeckung nicht selbst gemacht. Am Ende hätten Sie von mir nur Worte gehört, und das wäre für Sie so gut wie ohne Wert. Indem Sie aber die gesuchte Ursache selbst finden, wird sie Ihnen zum Erlebnis, und das ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg. Entdecken heißt erleben, gehen wir also beide auf Entdeckung aus.

Was Sie nicht gern verlieren möchten, kommt als Ursache nicht in Frage, Sie fürchten sich nicht vor Gefahren, die von außen her drohen. So weit sind wir uns klar geworden. Wovor also haben Sie Angst?