Die Schule – Teil 1

Rechte Erziehung ist um die Freiheit des Einzelnen besorgt, denn sie allein kann wahre Zusammenarbeit mit dem Ganzen, mit der Masse, zustande bringen; aber diese Freiheit erreicht man nicht durch das Streben nach Selbsterhebung und Erfolg. Freiheit entsteht mit der Selbsterkenntnis, wenn der Sinn über die Hindernisse hinausgeht, die er in seinem Verlangen nach Sicherung selber geschaffen hat. Es ist die Aufgabe der Erziehung, jedem Menschen zu helfen, all diese psychologischen Hindernisse aufzudecken, und ihm nicht nur neue Schablonen für sein Betragen oder neue Denkweisen aufzuerlegen. Ein Aufzwingen kann niemals Intelligenz oder schöpferisches Verständnis erwecken, sondern wird den Menschen nur neu beschränken. Dies trägt sich tatsächlich überall in der Welt zu, und dies ist der Grund, weshalb unsere Probleme fortbestehen und sich nur noch vermehren. Erst wenn wir anfangen, die tiefe Bedeutung menschlichen Lebens zu verstehen, kann wahre Erziehung einsetzen; zu diesem Zweck muss sich unser Sinn jedoch auf intelligente Weise von dem Verlangen nach Belohnung freimachen, welches Furcht und Fügsamkeit erzeugt. Betrachten wir unsere Kinder als persönliches Eigentum, sind sie für uns nur die Fortsetzung unseres kleinlichen Ego und die Erfüllung unseres Ehrgeizes, dann schaffen wir eine Umgebung oder ein Gesellschaftsgefüge, in dem die Liebe fehlt und nur das Streben nach selbstsüchtigem Vorteil besteht.

Eine Schule, die im weltlichen Sinne Erfolg hat, ist sehr häufig ein Fehlschlag als erzieherischer Mittelpunkt. Die große, blühende Anstalt, in der Hunderte von Kindern mit allem dazugehörigen Prunk und Erfolg zusammen erzogen werden, kann Bankbeamte, Verkäufer, Industrielle oder Kommissare, oberflächliche Menschen mit technischer Tüchtigkeit in die Welt hinausschicken; doch Hoffnung besteht allein für den einheitlichen Menschen, den nur eine kleine Schule hervorbringen kann. Daher ist es weit wichtiger, Schulen mit einer begrenzten Anzahl Jungen und Mädchen und den rechten Erziehern zu haben, als die neuesten und besten Methoden in großen Instituten anzuwenden.

Unglücklicherweise verwirrt uns oft eine Schwierigkeit: wir glauben, wir sollten in möglichst großem Maßstab arbeiten. Die meisten Menschen lieben große Schulen mit bedeutenden Gebäuden, obwohl sie offensichtlich nicht die rechten erzieherischen Einrichtungen sind, denn wir wollen die Masse, wie wir es nennen, umwandeln und beeinflussen. Wer aber ist die Masse? Ihr und ich. Wir dürfen uns nicht in dem Gedanken verlieren, dass die Masse auch richtig erzogen werden sollte. Besorgtheit um die Masse ist eine Art Flucht vor unmittelbarem Handeln. Rechte Erziehung wird allgemein werden, wenn wir mit dem Unmittelbaren beginnen: wenn wir unserer selbst in Beziehung zu unseren Kindern, unseren Freunden und Nachbarn bewusst werden. Unser Handeln in der Welt, in der wir leben, in der Welt unserer Familie und Freunde, wird sich in seinem Einfluss und seiner Wirkung verbreiten.

Wenn wir aller unserer Beziehungen voll bewusst sind, werden wir anfangen, die Verwirrungen und Begrenzungen in unserem Innern zu entdecken, die uns jetzt verborgen bleiben; und indem wir sie wahrnehmen, werden wir sie verstehen und auflösen können. Ohne solche Wahrnehmung und die Selbsterkenntnis, die sie mit sich bringt, werden alle Reformen in der Erziehung oder auf anderen Gebieten nur zu neuem Widerstand und Elend führen.

Wenn man übermäßig große Institute baut und Lehrer beschäftigt, die sich auf ein System verlassen, anstatt sich wach und aufmerksam in ihrer Beziehung zu jedem einzelnen Schüler zu verhalten, fördert man lediglich das Sammeln von Tatsachen, die Entwicklung von Fähigkeiten und die Gewohnheit, mechanisch einem Schema nach zu denken; doch sicherlich kann nichts von all diesem dem Schüler helfen, zu einem einheitlichen menschlichen Wesen heranzuwachsen. Systeme mögen in der Hand eines aufmerksamen und nachdenklichen Lehrers begrenzten Nutzen haben, aber sie verschaffen keine Einsicht. Und doch ist es seltsam, dass Worte wie ›System‹ oder ›Einrichtung‹ uns sehr wichtig geworden sind. Symbole haben den Platz der Wirklichkeit eingenommen, und wir geben uns damit zufrieden; denn die Wirklichkeit ist beunruhigend, während Schatten Trost verleihen.

Nichts von grundlegendem Wert lässt sich durch Massenunterricht erreichen, wohl aber durch sorgfältiges Studium und Verständnis für die Schwierigkeiten, Neigungen und Befähigungen jedes einzelnen Kindes; alle, die dies erkennen und ernsthaft danach verlangen, sich selbst zu begreifen und der Jugend zu helfen, sollten sich zusammentun und eine Schule gründen, die dann wesentliche Bedeutung im Leben des Kindes gewinnen wird, weil sie ihm hilft, einheitlich und intelligent zu werden. Um eine solche Schule zu gründen, braucht man nicht auf die nötigen Geldmittel zu warten. Man kann auch zu Hause ein wahrer Lehrer sein, und den Ernstgesinnten werden sich Gelegenheiten bieten.

Wer seine eigenen Kinder und die Kinder in seiner Nachbarschaft liebt, und es daher aufrichtig meint, wird dafür sorgen, dass die richtige Schule ins Leben gerufen wird – vielleicht irgendwo um die Ecke, oder im eigenen Hause. Dann wird auch das Geld kommen; das ist die geringste Sorge. Eine kleine Schule der rechten Art zu unterhalten, ist natürlich finanziell schwierig; sie kann nur mit Selbstaufopferung gedeihen und nicht mit einem großen Bankkonto. Geld verdirbt den Menschen unweigerlich, außer wenn Liebe und Verständnis herrschen. Hat man aber wirklich eine lohnende Schule, so lässt sich die nötige Hilfe schon finden. Wenn die Liebe zum Kinde besteht wird alles möglich.

Solange die Schule selbst von höchster Bedeutung ist, ist das Kind es nicht. Dem rechten Erzieher ist es um den Einzelnen zu tun, und nicht um die Anzahl seiner Schüler; und ein solcher Erzieher wird entdecken, dass er eine lebendige und bedeutsame Schule hat, die einige Eltern gern unterstützen werden. Doch der Lehrer muss das Feuer der Begeisterung in sich tragen; ist er nur lauwarm, so wird er eine Anstalt wie alle anderen haben.