Brockwood 1983, Fragen & Antworten 1, Frage 4
Zuhörer: Wenn man etwas wortwörtlich, sozusagen intellektuell versteht, wie bricht man dann mit dieser Gewohnheit?
K: Was ist Gewohnheit? Eine Wiederholung, nicht wahr? Dass man sich jeden Morgen, Mittag und Abend die Zähne putzt, wird zur Routine. Sie sind dann nicht mehr aufmerksam. Sie machen nur schnell, dass Sie damit fertig werden. Auf diese Weise bildet das Gehirn ein Muster – Trinken, Sex, was auch immer – es bildet ein Muster, das es dann wiederholt. So wird es mechanisch, nicht wahr? So ist das Gehirn durch ständige Gewohnheiten zu dem geworden, was es jetzt ist: nicht lebendig, nicht aktiv. Der Herr fragt: Wie bricht man mit einer Gewohnheit, egal mit welcher? Mit der Gewohnheit nach Gott zu suchen, zu einem exotischen Guru zu laufen – wie brechen Sie mit so einer Gewohnheit? Konfliktlos, verstehen Sie? Nehmen wir an, ich hätte eine Gewohnheit … Geben Sie mir bitte eine Gewohnheit!
Zuhörer: Das Rauchen.
K: Das Rauchen ist so eine leichte Sache, ist eine Angewohnheit, mit der man leicht aufhören kann.
Zuhörer: Die Gewohnheit immer die gleiche Antwort zu geben.
K: Ich hoffe, dass ich nicht immer die gleiche Antwort gebe.
Macht nichts! Ich habe eine Angewohnheit: Rauchen, meinen Kopf zu kratzen, meinen Mund offen zu halten. Eine Angewohnheit, an ein- und dieselbe Sache wieder und wieder und wieder zu denken. Oder ich habe die Angewohnheit zu schwatzen. Wir wollen das Schwatzen nehmen.
Ich rede nicht nur dauernd mit mir selber, sondern ich rede auch endlos mit anderen, nicht wahr? Neulich kam jemand zu mir. Es war ein Interview. Sobald sie eingetreten war, begann sie zu reden. Sie redete und redete, und als sie ging, sagte sie: »Es hat mich gefreut, Ihnen begegnet zu sein.« Wir reden alle endlos nicht nur da und dort, sondern wir schwatzen auch innerlich. Für die meisten Menschen ist das zu einer besonderen Gewohnheit geworden. Sie können niemals still, niemals schweigsam sein, schweigsam im Sinne einer vollkommenen Stille im Gehirn. Wie beende ich also diese Gewohnheit zu schwatzen?
Wer ist denn derjenige, der damit aufhört? Ein anderer Schwätzer, der sagt: »Ich muss mit diesem äußeren Geschwätz aufhören, aber im Innern kann ich ja weiterreden«? Wird es die Angst sein, die dem ein Ende bereitet? Die Angst vor der Kritik anderer Leute, oder wird es einfach aufhören, weil man erkennt, dass dauerndes Reden eine Kraftvergeudung ist? Wir müssen eine ernstere Frage stellen: Gibt es außen oder in Ihnen selber eine Wesenheit, die Sie bremsen wird, damit Sie mit dem Schwatzen aufhören, die sagen wird: »Nein, ich werde nicht mehr schwatzen.« Ist das – hören Sie gut zu – ist das jemand anderer oder ist es der Wille, der Sie entscheiden lässt, dass Sie nicht mehr schwatzen wollen? Und wenn es der Wille ist, was ist dieser Wille? Wille ist die Quintessenz des Verlangens.
Wie hören Sie also mit dieser Angewohnheit des Schwatzens auf? Wenn Sie es mit Willenskraft tun (also durch das Verlangen), ruft das einen anderen Konflikt hervor, nicht wahr? Aber wäre es vielleicht möglich, konfliktlos das Schwatzen zu beenden? Ich schwatze. Zunächst bin ich mir dessen gar nicht bewusst, dass ich schwatze. Sie weisen mich darauf hin und sagen: »Alter Bursche, lass das viele Geschwätz«, und das kränkt mich. Wenn ich aber diese Kränkung überwinde und sage, »wie soll ich damit aufhören?«, habe ich das orthodoxe Mittel der Willenskraft; ich kann mich zwingen, damit es aufhört, oder ich könnte eine Pille nehmen, die mich beruhigt. Und nachdem sie mich beruhigt hat, nehme ich eine weitere Pille, damit ich wach bleibe, und setze diese Routine fort.
Ich will also herausfinden, wie man mit einer Gewohnheit wie das Schwatzen oder das Offenhalten des Mundes, das Kratzen oder mit irgendeiner anderen Gewohnheit – aufhört. Und das ohne Anstrengungen und ohne Pille. Das ist eine wichtige Frage. Wie man mit einer Gewohnheit bricht, ohne sich anzustrengen. Entdecken Sie Ihre besondere Gewohnheit. Werden Sie sich ihrer bewusst und sagen Sie sich: Kann das jetzt aufhören ohne irgendeinen Willensakt, ohne eine Entscheidung, ohne Zwang, Belohnung oder Strafe aufhören?
Zuerst einmal sollte ich mir meine Gewohnheit bewusst machen – nicht dass Sie sie mir aufzeigen – sondern ich werde mir der Gewohnheit bewusst, ohne dass es mir jemand sagt. Sehen Sie den Unterschied? Wenn Sie mich darauf hinweisen, leiste ich entweder Widerstand oder ich sage: »Ja ich muss damit aufhören.« Wenn ich es aber selber erkenne, bin ich einen Schritt weiter. Wenn wir uns also unserer besonderen Gewohnheit zu schwatzen bewusst geworden sind (das haben wir als Beispiel genommen), was bedeutet dann diese Bewusstheit? Bewusstheit bedeutet, dass man etwas reaktionslos und ohne auszusortieren anschaut. Zuerst werde ich mir bewusst, dass ich schwatze. Dann geht es darum, es zu beobachten, ohne es zu verdammen; sich dessen bewusst zu werden, ohne Rechtfertigung oder Erklärung – es nur zu beobachten. Werden Sie das tun, so dass die alten Reaktionen nicht einsetzen, so dass die alte Tradition nicht sagt: »Ich muss damit aufhören«? Beobachten Sie sehr aufmerksam, dass Sie schwatzen, d.h. beobachten Sie es ohne Reaktion der alten Erinnerungen. Das ist sehr schwierig. Kann ich mein Geschwätz weder wohlwollend noch ablehnend beobachten? Der Beobachter selber unterscheidet sich dabei nicht vom Geschwätz. Auf diese Weise beobachtet der Beobachter nur, er ist keine Struktur aus Worten und Erinnerungen, verstehen Sie? Bitte, das ist sehr kompliziert und erfordert eingehende Untersuchung. Wir schauen die Dinge durch unsere Vorurteile, Meinungen, durch unsere Erinnerungen und das Netz von Worten an. Auf diese Art beobachten wir alles. Können Sie nun ohne alle diese Erinnerungen, ohne dieses Wortgeflecht beobachten? An diesem Punkt beginnt die Kunst, die Kunst der Beobachtung wie ich beobachte. Ich bin mir bewusst geworden, und in dieser Bewusstheit urteile ich nicht, suche ich auch weder Belohnung noch Strafe. Ich beobachte nur. Und das bedeutet was? Dass ich in dem Augenblick vollkommen aufmerksam bin. In jener Sekunde liegt meine ganze Energie und Fähigkeit, ist all meine Aufmerksamkeit enthalten. Und das bedeutet, dass wenn man voll aufmerksam ist, jedoch nicht durch irgendeine Form des Verlangens, durch irgendeine Art der Belohnung oder Strafe, sondern nur vollkommen aufmerksam, gibt es keinen Raum für die Gewohnheit. Verstehen Sie? Tun Sie es bitte. Versuchen Sie es doch einmal.
Jetzt werden Sie sagen, ja, im Augenblick ist es möglich. Ich kann sehen, dass es aufhören kann. Sobald ich vollkommen aufmerksam bin, hört etwas auf. Aber es kommt wieder. Das Geschwätz fängt wieder an. Wie reagieren Sie darauf? Ich habe es einmal gemacht, war ganz aufmerksam, und es sieht so aus, als würde es für den Augenblick abklingen. Wenn ich das jetzt wiederhole, wieder ganz aufmerksam bin, wird es wieder verschwinden. So werden Sie mechanisch, verstehen Sie das? Ich war aufmerksam, ganz aufmerksam, in Bezug auf mein Schwatzen. Diese Flamme der Aufmerksamkeit fegte das Geschwätz für einige wenige Minuten fort. Ich habe erkannt, dass es funktioniert. Dann im nächsten Augenblick oder Stunde später – egal zu welcher Zeit – fangen Sie wieder an zu schwatzen und erwischen sich plötzlich dabei und sagen sich: »Ich muss aufmerksam sein«. So wiederholen Sie dasselbe, und wieder hört es auf. Auf diese Weise lernen Sie allmählich, aufmerksam zu sein, und das bedeutet, dass Sie nicht aufmerken. Haben Sie verstanden, was ich sage? Wenn Sie sich dauernd dran erinnern müssen, dass Sie aufmerksam sein sollten, vergeuden Sie Kraft, und das ist keine Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit kennt keine Zeit. Wenn Sie ganz aufmerksam sind – und das bedeutet, dass keine Kraft vergeudet wird – verschwindet die Gewohnheit. Es ist also nicht Ihre Sache, aufmerksam sein zu müssen, sondern zu bemerken, wie kraftvergeudend diese Gewohnheit ist.
Wir vergeuden auf tausend verschiedene Arten Kraft, eine dieser Arten ist das Schwatzen. Also gut, darum schenke ich dem Geschwätz keine Aufmerksamkeit mehr, sondern sehe wie ich meine Kraft vergeude. Dem werde ich folgen. Ich werde beobachten, lernen, schauen, wo die Kraft vergeudet wird. Oh, das geschieht auf so viele Art! So wird mein Geist nicht mechanisch, indem er wiederholt, »ich muss aufmerksam sein«, sondern er schreitet fort. Er nimmt laufend Neues auf, so dass das Gehirn ungewöhnlich rege wird. Und wenn es so rege ist, bleibt für Gewohnheit kein Platz.