Brockwood 1983, Fragen & Antworten 1, Frage 1, Teil 1

Heute müssen wir uns mit den Fragen beschäftigen, die eingereicht wurden.

Darf man zunächst einmal die Frage stellen, von wem Sie die Antworten erwarten? Es ist gut, wenn Sie nicht nur Zweifel in Bezug auf den Sprecher haben, sondern auch hinsichtlich Ihrer eigenen Freunde, Ihrer Frauen, Ihrer Männer, es ist gut, wenn man zweifelt, untersucht, skeptisch ist. Wenn man eine Frage stellt, die eine Herausforderung ist, von wem erwarten Sie dann eine Antwort auf diese Herausforderung? Fordert man sich dabei selber heraus? Oder fordern Sie den Sprecher heraus? Das ist ein großer Unterschied. Wenn Sie sich die Frage selber stellen, unterziehen Sie diese einer wirklichen Prüfung, beißen sich daran fest. Man kann die Antwort nur dann in der Frage finden, wenn man ernsthaft und eingehend daran interessiert ist. Antwort und Frage sind nicht voneinander getrennt. Deshalb sagten wir, dass die Antwort in der Fragestellung liegt. Ich hoffe, dass wir das verstehen.

Wir werden uns mit diesen Fragen befassen und werden durch die Untersuchung die Antwort finden. Nicht der Sprecher wird antworten. Die Frage selber ist viel wichtiger als die Antwort. Warum stelle ich mir oder der Welt oder meinem Freund eine Frage? Wenn ich eine ziemlich oberflächliche Frage stelle, weil mir die Frage in Wirklichkeit nicht so wichtig ist, wird die Antwort unvermeidlich oberflächlich sein. Wenn ich aber eine Frage stelle und versuche, das Wesentliche ihres Inhaltes zu entdecken, das zu entdecken, was hinter der Frage ist, dann erschließe ich die Frage einer tieferen Untersuchung. Das ist ähnlich wie beim Graben eines Brunnens – je tiefer Sie graben, desto mehr Wasser kommt. So wollen wir uns gemeinsam mit diesen Fragen befassen. Gemeinsam.

K (liest eine Frage vor): Woher wissen Sie, dass das, was Sie sagen, wahr ist?

Warum fragen Sie mich das? Ist es nicht wahr, dass es Konflikt geben muss, solange man sich in Nationalitäten aufteilt, rassisch und religiös spaltet? Das ist doch eine Tatsache. Würden Sie diese akzeptieren? Es kommt daher gar nicht darauf an, ob das, was ich sage, wahr ist, sondern ob die Tatsache an sich wahr ist. Die Tatsachen selber sprechen für die Wahrheit. Neulich sagten wir in Bezug auf Beziehungen: Solange zwischen zwei Menschen psychologisch eine Trennung besteht, solange muss es Konflikt geben. Das ist eine Tatsache. Es ist eine Tatsache, dass wir unvermeidlich in Konflikt geraten, solange ich ehrgeizig bin und meine besondere Form des Vergnügens, meine eigene Erfüllung suche. Und meine Frau, meine Freundin, oder mein Mann tun dasselbe. Das ist eine Tatsache. Es geht also nicht darum, »wie weiß ich, was Wahrheit ist«. Zunächst einmal lasst uns auf Tatsachen schauen.

Wir sind Leute mit großen Vorurteilen. Wir haben sehr viele Vorurteile. Wir haben sie aufgebaut, gestärkt, und die öffentliche Meinung hat dazu beigetragen, dass sie fortbestehen. Unsere Vorurteile verhindern, dass wir die Leute verstehen, nicht wahr? Das ist eine Tatsache. Kann man sich also von Vorurteilen, von bestimmten Meinungen freimachen, die in unserem Leben bestimmend sind? Dann kommt es zu der Frage: Wie kann sich der Mensch von Vorurteilen freimachen? Darüber können wir diskutieren. Darüber können wir sprechen. Ich sage: Schauen Sie her, ich habe Vorurteile, und Sie haben Vorurteile, und ob es nun idealistische, kapitalistische, totalitäre oder religiöse Vorurteile sind, sie trennen uns voneinander. Das ist eine einfache Tatsache. Und wo Trennung vorliegt, muss es Konflikt geben. Jene, die fanatisch sind und jene, die es nicht sind, müssen in Konflikt miteinander sein. Das ist eine Tatsache. Ich habe damit nichts zu tun. Also nicht: »Wie weiß ich, dass das, was ich sage, wahr ist?« Wir stellen uns nur den Tatsachen.

Was ist nun eine Tatsache? Was, denken Sie, ist eine Tatsache? Das, was geschehen ist – ein Vorkommnis, ein Autounfall – das ist eine Tatsache. Was jetzt geschieht, dass Sie da sitzen, ist eine Tatsache. Das aber, was in der Zukunft geschehen könnte, muss keine Tatsache sein. So bedeutet Tatsache das, was gerade geschieht oder das, was geschehen ist. Z.B. traf ich gestern, als ich auf einem Feldweg spazieren ging, eine Schlange. Ich sah sie, sie biss mich nicht. Das ist eine Tatsache. Und das, was jetzt geschieht, was ich gerade denke, was ich gerade tue, ist eine Tatsache. Aber was ich tun werde, muss keine Tatsache sein. Es mag so oder auch nicht so geschehen. Wir wollen uns also darüber klar sein, was eine Tatsache und was bloß eine Idee ist, verstehen Sie? Ist eine Idee eine Tatsache? Die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes »Idee« ist: zu beobachten, wahrzunehmen, zu sehen. Wenn wir aber eine Tatsache sehen, machen wir einen Begriff daraus und folgen dann dieser Idee. Das heißt, wir haben immer die Tatsache und den Schluss, den wir aus dieser Tatsache ziehen und den wir dann verfolgen. Dabei verstehen wir aber nicht die Tatsache selber. Drücke ich das klar aus?