Brockwood 1983, Fragen & Antworten 2, Frage 1 von Krishnamurti

Mehrere Fragen sind eingereicht worden, und ich hoffe,  dass wir uns heute mit ihnen befassen können. Diese Fragen sind wirklich Probleme. Das Gehirn kann keine Probleme lösen, ohne andere Probleme zu schaffen, solange es selber nicht ohne Probleme ist, nicht wahr? Die Politiker in aller Welt haben zahlreiche Probleme – Krieg, die Atombombe, ihre eigene Position, ihr Ehrgeiz, die Tatsache,  dass sie den Wähler vertreten, usw. usw. Ihre Gehirne sind mit Problemen angefüllt. Unsere Gehirne sind auch voller ungelöster Probleme. Wie können Sie Probleme lösen, wenn Ihr Gehirn nicht frei von Problemen ist? Hoffentlich mache ich das hier klar. Wenn mein Gehirn schon von den vielen wissenschaftlichen, medizinischen, sexuellen Problemen, die die Menschen haben, getrübt ist, wie kann ich dann mit anderen auftauchenden Problemen fertig werden? Ich begegne ihnen mit einem unklaren Gehirn, das schon mit Problemen belastet ist.

Sollten wir da nicht erst einmal untersuchen, ob es möglich wäre, das Gehirn von Problemen zu befreien? Dann können wir jedem Problem, das auftaucht, frei begegnen.

Angenommen ich habe verschiedene persönliche Probleme, und mein Gehirn sorgt sich, ist beunruhigt, denkt dauernd nach. Dann tauchen neue Probleme auf – ein Problem ist etwas, das Ihnen zugeworfen wird – und ich kann mich ihnen nur mit einem Gehirn stellen, das bereits mit Problemen beladen ist. Ich frage, ob es nicht wichtig wäre, einen Geist, ein Gehirn zu haben, das wirklich frei von Problemen ist. Das Leben bringt Probleme mit sich, aber Sie können sich diesen dann frei stellen, wie sie auftauchen. Drücke ich mich klar aus? Wir wollen das bitte gemeinsam besprechen.

Von Kindheit an sind wir dazu erzogen worden, Probleme zu haben. Unsere ganze Erziehung ist eine Reihe von Problemen – Beziehungsprobleme, Lehrer- und Schülerprobleme, mathematische Probleme, Prüfungen. Das ganze Erziehungssystem wird zu einem Problem. Unsere Gehirne werden dazu trainiert, erzogen, sich  mit Problemen zu befassen. Unser Gehirn ist darauf trainiert und dazu erzogen, sich  mit Problemen zu befassen. Kann man nun das Gehirn, das darauf trainiert wurde, in Problemen zu denken, von dieser Prägung befreien? Ist das möglich?

Zuhörer: Wir müssen uns von sehr starken Bindungen freimachen.

K: Im Augenblick befassen wir uns nicht mit der Frage von Bindungen, mein Herr. Ich bin dabei zu sagen,  dass mein Gehirn und auch das Ihre von Kindheit an dazu erzogen wurde, im Sinne von Problemen und deren versuchsweiser Lösungen zu denken. Das ist eine Tatsache. So ein Gehirn ist bereits vollgestopft. Sollte es nicht problemfrei sein, um Problemen gegenübertreten zu können?

Stellen Sie sich die Frage selber. Wäre es mir, meinem Gehirn möglich, kein einziges Problem zu haben, so dass ich mich den Lebensproblemen frei stellen kann? Das ist wirklich eine sehr sehr ernste Frage.

Zuhörer: Sie müssen hinschauen.

K: Sind Sie frei von persönlichen Problemen? Frei von Problemen der Beziehung, der Gesundheit? Wenn Sie Techniker sind, sind Sie frei von mathematischen Problemen, frei von politischen Problemen, ob Sie Demokrat oder Republikaner, Kommunist oder Sozialist sein sollten? Ob Sie an Gott glauben oder nicht glauben sollen, verstehen Sie? Unser Gehirn ist so belastet. Je ernster Sie sind, umso schwerer wird die Last.

Auf welche Weise kann also das Gehirn von Problemen ganz frei werden? Sehen Sie, wir haben daran noch nie gedacht. Kann man vom Gehirn verlangen,  dass es sich von Problemen freimacht?

Zuhörer: Ich habe darüber nachgedacht, aber es scheint so, als würde das ein neues Problem schaffen.

K: Ja, das ist es ja gerade. Sie haben darüber nachgedacht, und gerade dieses Nachdenken schafft ein anderes Problem.

Zuhörer: Man muss fragen, ob Nachdenken Probleme lösen kann.

K: Ob das Denken die Probleme beherrscht. Bedeutet Ihnen allen das etwas? Oder ist das etwas, womit Sie sich nicht wirklich befasst haben?

Zuhörer: Manche Leute würden das Leben ziemlich langweilig finden, wenn sie keine Probleme hätten. Sehr viele Leute genießen ihre Probleme.

K: Na, das ist aber etwas anderes. Wenn Sie Ihre Probleme genießen, viel Glück! Das ist eine Art von Neurotizismus.

Probleme haben unser Gehirn geprägt, nicht wahr? Sie engen das Gehirn ein. Und ein Gehirn, das mit Problemen umgeht, Probleme über Probleme hat, ist unfähig, sich irgendeinem Problem überhaupt zu stellen. Ist dieser Punkt, wenn auch nur wörtlich, intellektuell, klar?

Zuhörer: Ich bin mir da nicht sicher. Das Gehirn hat einen Stapel von Problemen. Sie behaupten,  dass so ein Gehirn unfähig ist, sich einem anderen Problem frei zu stellen.

K: Wenn das Gehirn Probleme hat und einem anderen Problem begegnet, was geschieht dann?

Zuhörer: Es wird damit fertig so gut es kann, mehr oder weniger gerecht oder nicht gerecht.

K: Das ist es ja gerade, was in der Welt geschieht.

Zuhörer: Das ist der Fall. Aber Sie können deshalb nicht sagen,  dass das Gehirn nicht mit Problemen umgehen kann, weil es Probleme hat.

K: Nein, es kann mit Problemen nur teilweise, auf eine sehr eingeschränkte Weise umgehen.

Zuhörer: Ja.

K: Das ist alles, was wir sagen. Sehen Sie die Politiker der Welt an. Sie sind ein perfektes Beispiel. Sie schaffen ein Problem nach dem anderen und lösen fast nie eines. Sie haben da ein perfektes Beispiel.

Zuhörer: Ja, aber wonach verlangen wir denn, wenn wir irgendeine Art absoluter Lösung suchen?

K: Wir werden das herausfinden, mein Herr, ob es eine oder ob es keine Möglichkeit einer Lösung gibt.

Müssen wir mit ständig sich vergrößernden, mit sich vermehrenden Problemen leben? Kann sich das Gehirn seiner selbst bewusst werden? Das ist eine sehr ernste Frage. Kann sich das Gehirn bewusst werden,  dass es persönliche, gesundheitliche, wissenschaftliche usw. Probleme, viele vielfache Probleme hat? Können wir diese Probleme objektiv, emotionslos anschauen, ohne Partei zu ergreifen, ohne voreingenommen zu sein? Können wir das?

Zuhörer: Das Problem ist nur für unser Ego da.

K: Probleme existieren zur Aufrechterhaltung unseres Egos. Nun gut. Aber was wollen Sie damit anfangen?

Lassen Sie uns jetzt mit den eingereichten Fragen befassen.