Brockwood 1983, Fragen & Antworten 2, Frage 3
K (liest eine Frage vor): Warum ermutigen Sie die Menschen nicht, über bestimmte Themen Diskussionen abzuhalten und organisierten Aktivitäten nachzugehen, um damit Gespräche und Diskussionen zu erleichtern?
Hören Sie K zu? Oder hören Sie sich selber zu? K rät Ihnen, dass Sie sich selber zuhören sollen, damit Sie sehen, wie geprägt Sie sind. Ich sage Ihnen, dass Sie geprägt sind, aber indem Sie sich selber zuhören, lernen Sie unendlich viel mehr, als wenn Sie einer Menge Leute, einschließlich K, zuhören. Wenn Sie K zuhören, belehrt er Sie nicht. Er stellt einen Spiegel vor Ihnen auf, damit Sie sich darin sehen können. Und wenn Sie sich selber sehr klar darin erkennen, können Sie den Spiegel zerbrechen und unabhängig von dem Mann sein, der den Spiegel hält. Erkennen wir uns also klar? Wenn wir uns auf Beziehungen, auf Gespräche oder Gesellschaften und Institutionen verlassen, dass sie uns lehren, uns helfen, uns klarmachen, was wir sind, dann werden wir abhängig. Und wenn wir von anderen abhängig sind, egal ob von Institutionen, Begegnungsgruppen usw., was lernen Sie dann? Und was meinen Sie mit »lernen«?
Bitte, das ist wieder eine sehr ernste Frage. Lernen, wie wir es kennen, heißt Wissen ansammeln. Ich habe über mich selber gelernt, dass ich das alles bin – der ganze Schmerz, das Elend, die Unklarheit, die ungewöhnliche Mühsal des Daseins, das bin ich alles. Das habe ich gelernt. D.h. jemand hat es mir gesagt, oder ich habe es selber gelernt Bisher bedeutet »über uns selber zu lernen« Wissen über uns anzusammeln, nicht wahr? Und der Fragesteller sagt, dass K. behauptet, dass gerade dieses Wissen die Wurzel der Unordnung sei. Wir wollen langsam weitermachen.
Im technischen Bereich, im Alltag ist Wissen notwendig. Aber psychologisches Wissen ist die Wurzel der Unordnung. Weil dieses Wissen Vergangenheit ist. Vergangenes, zukünftiges oder das Wissen einer fernen Zukunft ist immer begrenzt, weil Wissen auf Erfahrung, auf Hypothesen und Schlüssen gründet und beständig Neues hinzugefügt wird. Daher ist es endlos und sehr begrenzt. Kann ich mich also ohne vorausgegangenes Wissen, ohne Überzeugungen bezüglich meiner Selbst von neuem anschauen? Verstehen Sie meine Frage? Ich habe mich gestern den ganzen Tag oder ein paar Stunden lang betrachtet und entdecke, dass ich dieses, jenes oder etwas anderes bin. Davon bin ich deprimiert oder es versetzt mich in Hochstimmung. Das wird zu Wissen von gestern. Und mit diesem Wissen beobachte ich mich erneut. Das tun wir, nicht wahr? So führt psychologisches Wissen zu einer dauernden, mechanischen Wiederholung. Auch die Wissenschaftler beginnen zu entdecken, dass vorausgegangenes Wissen für Entdeckungen in bestimmten Bereichen hinderlich ist.
Also sind Sie das Lagerhaus der vergangenen Geschichte. Das ist eine Tatsache. Sie sind die Geschichte der Menschheit. Und wenn Sie wissen, wie man dieses Buch liest, brauchen Sie von niemandem, weder von Diskussionen noch von Beziehungen oder organisierten Gruppen abhängig zu sein. Ich sage nicht, dass Sie nicht diskutieren, keine Beziehungen, keine Treffen haben sollten. Alles, worauf ich hinweise, ist, dass Sie verloren sind, solange Sie sich für Ihr Selbstverständnis auf andere verlassen. Sie haben Führer gehabt, nicht wahr? Religiöse Führer, politische Führer, jede Art von Spezialisten, die Ihnen sagen, was Sie tun sollen, wie Sie Ihre Kinder erziehen, wie Sie Sex haben sollen. In den letzten hunderttausend Jahren oder mehr hatten Sie jede Art von Führern. Und wo sind Sie am Ende? Bitte stellen Sie diese Fragen. Wir sind das, was wir sind, weil wir uns auf andere verlassen haben und immer noch weiter darauf verlassen, dass uns jemand sagt, was wir tun sollen, was wir denken sollen und das heißt, dass wir dauernd programmiert werden. Wenn Sie sich verstehen wollen, haben Sie jede Gelegenheit, das durch Beziehungen, durch Diskussionen zu tun. Wenn Sie sich aber darauf verlassen, sind Sie verloren. Ist das klar? Sie müssen keineswegs mit dem Sprecher einer Meinung sein. Erkennen Sie aber die Konsequenzen, die sich aus Ihrer Abhängigkeit von anderen ergeben, wenn Sie sich auf die Regierungen verlassen, dass sie Ordnung in diese chaotische Welt bringen, wenn Sie sich auf einen Guru, auf einen Priester, egal ob es der Papst selber oder der örtliche Pfarrer ist, verlassen. Verstehen Sie?
Man ist also das Lagerhaus der ganzen Menschheit, nicht wahr? Man ist die übrige Menschheit. Und wenn man das genau mit großen Bedenken und Sympathie betrachtet, kann man zu lesen beginnen, was man selber ist. Und das kommt einem Erblühen gleich. Wenn Sie sich aber auf andere verlassen, dann leben Sie in Schmerz, Angst und Sorge.