Vorwort des Autors – Teil 1

Mir scheint, dass in unserer Welt der zunehmenden Krisen und Probleme eine völlig neue Moral und ein Handeln, das einem umfassenden Verständnis des Lebens entspringt, zu einer dringenden Notwendigkeit geworden sind. Wir versuchen, diese Probleme durch politische und organisatorische Maßnahmen, durch wirtschaftliche und verschiedene andere Reformen in den Griff zu bekommen, aber keine dieser Maßnahmen wird je die komplexen Schwierigkeiten der menschlichen Existenz lösen, auch wenn sie vielleicht vorübergehend Linderung verschaffen. Alle Reformen, wie umfassend oder scheinbar von Dauer sie auch sein mögen, führen selbst wieder zu weiterer Verwirrung und machen weitere Reformen erforderlich. Ohne das komplexe Wesen des Menschen zu verstehen, bringen bloße Reformen nur die verwirrende Nachfrage nach weiteren Reformen mit sich. Es nimmt kein Ende mit den Reformen, aber auf diesem Weg gibt es keine grundlegende Lösung.

Auch politische, ökonomische oder gesellschaftliche Revolutionen sind nicht die richtige Antwort, denn sie haben schreckliche Formen der Gewaltherrschaft hervorgebracht oder die Macht und Autorität einfach in die Hände einer anderen Gruppe gelegt. Solche Revolutionen können niemals ein Ausweg aus unserer Verwirrung und unseren Konflikten sein.

Aber es gibt eine Revolution, die völlig anders ist und die stattfinden muss, wenn wir uns aus der endlosen Kette von Ängsten, Konflikten und Frustrationen lösen wollen. Diese Revolution kann aber nicht von Theorien und idealen Vorstellungen ausgehen – die sich letztendlich alle als nutzlos erweisen –, sondern nur von einer radikalen Umwandlung des menschlichen Geistes. Eine solche Umwandlung ist allein durch die richtige Art von Erziehung und Bildung und die vollständige Entfaltung des Menschen möglich. Diese Revolution muss im gesamten menschlichen Geist stattfinden und nicht nur auf der Ebene des Denkens. Was gedacht wird, ist schließlich nur eine Auswirkung und nicht der Ursprung. Es ist also eine radikale Umwandlung des Ursprungs erforderlich und nicht eine bloße Abänderung der Auswirkung. Gegenwärtig doktern wir an Auswirkungen, an Symptomen herum. Wir bewirken keine entscheidende Veränderung, reißen nicht die alten Denkmuster mit der Wurzel aus und befreien den Geist nicht von Traditionen und Gewohnheiten. Diese entscheidende Veränderung ist unser Anliegen, und sie kann allein durch die richtige Erziehung zustande kommen.

Der Geist hat die Aufgabe, zu untersuchen und zu lernen. Mit Lernen meine ich hier nicht das bloße Schulen des Gedächtnisses oder das Ansammeln von Wissen, sondern die Fähigkeit, ohne Selbsttäuschung klar und einsichtsvoll zu denken, von Fakten auszugehen und nicht von Überzeugungen und Idealen. Wenn das Denken von Schlussfolgerungen ausgeht, kann kein Lernen stattfinden. Der bloße Erwerb von Wissen oder das Ansammeln von Informationen ist kein Lernen. Zum Lernen gehört die Liebe zum Verstehen und die Liebe, etwas um seiner selbst willen zu tun. Lernen ist nur möglich, wenn kein wie auch immer gearteter Druck existiert. Und Druck kann viele Formen annehmen, nicht wahr? Er kann durch Beeinflussung, Abhängigkeit und Drohungen entstehen oder durch suggestive Ermutigung und subtile Formen der Belohnung.

Die meisten Leute sind der Meinung, dass Lernen durch Vergleichen gefördert wird, aber das Gegenteil ist der Fall. Vergleichen führt zu Frustration und fördert nur den Neid, der Konkurrenzkampf genannt wird. Wie andere Formen der Beeinflussung, verhindert Vergleichen das Lernen und erzeugt Angst. Ehrgeiz erzeugt ebenfalls Angst. Ehrgeiz, bezogen auf die eigene Person oder eine Gemeinschaft, ist immer unsozial. Der so genannte edelmütige Ehrgeiz in Bezug auf andere Menschen ist von Grund auf zerstörerisch.

Es ist absolut notwendig, die Entfaltung eines gesunden menschlichen Geistes zu fördern – eines Geistes, der den vielen Fragen und Problemen des gesamten Lebens begegnen kann; der nicht vor ihnen zu fliehen versucht und dabei mit sich selbst in Widerspruch gerät, frustriert, bitter oder zynisch wird. Außerdem muss sich der Geist unbedingt seiner eigenen Konditionierung, seiner eigenen Motive und Bestrebungen bewusst sein.

Da die Entfaltung eines klaren Geistes eines unserer Hauptanliegen ist, kommt der Art des Unterrichtens höchste Bedeutung zu. Wir müssen die Entfaltung des menschlichen Geistes in seiner Gesamtheit fördern und nicht nur die Übermittlung von Informationen pflegen. Bei der Vermittlung von Wissen muss der Lehrer zur Diskussion auffordern und die Schüler dazu ermutigen, nachzufragen und eigenständig zu denken.

Autorität in der Form, »da ist einer, der es weiß«, hat keinen Platz beim Lernen. Beide, der Lehrer und der Schüler, lernen durch die besondere Beziehung, die sie miteinander haben. Aber das bedeutet nicht, dass der Lehrer die Ordnung des Denkens außer Acht lässt. Ordnung im Denken kommt nicht durch Disziplin in Form einer unumstößlichen Darstellung von Wissen zustande, sondern entsteht ganz natürlich, wenn der Lehrer versteht, dass die Entfaltung der Intelligenz mit einem Sinn für Freiheit einhergehen muss. Damit ist nicht die Freiheit gemeint, zu tun, was einem beliebt oder dem reinen Widerspruchsgeist zu frönen. Es ist die Freiheit, durch die man dem Schüler hilft, sich seiner eigenen Impulse und Motive bewusst zu sein, die sich ihm in seinem täglichen Denken und Handeln offenbaren.

Ein disziplinierter Geist kann niemals ein freier Geist sein, noch kann ein Geist, der seine Wünsche und sein Verlangen unterdrückt hat, je frei sein. Der menschliche Geist kann nur frei sein, wenn er den ganzen Prozess des Wünschens und Verlangens verstanden hat. Disziplin beschränkt den Geist immer darauf, sich innerhalb des Rahmens eines bestimmten Gedankengebäudes oder Glaubens zu bewegen, nicht wahr? Und ein solcher Geist erlangt nie die Freiheit, intelligent zu werden. Disziplin führt zur Unterordnung unter eine Autorität. Sie verleiht die Fähigkeit, gemäß der Normen einer Gesellschaft zu funktionieren, die die ihr entsprechenden Fähigkeiten verlangt, aber sie erweckt nicht jene Intelligenz, die aus sich selbst heraus tätig wird.