Warum seid ihr ehrgeizig? – Teil 1

Ich habe über die Angst gesprochen, und es ist sehr wichtig, dass wir uns der Angst bewusst sind, dass wir sie wahrnehmen. Wisst ihr, wie sie entsteht? Überall auf der Welt können wir beobachten, dass Menschen durch Angst pervertiert werden, dass ihr Denken, Fühlen und Handeln durch Angst verdreht wird. Deshalb sollten wir das Problem der Angst aus jeder möglichen Perspektive beleuchten, nicht nur vom moralischen und ökonomischen Standpunkt der Gesellschaft aus, sondern auch im Hinblick auf unsere inneren psychischen Kämpfe.

Wie ich bereits gesagt habe, pervertiert die Sorge um unsere äußere und innere Sicherheit unser Denken und Fühlen. Ich hoffe, ihr habt ein wenig darüber nachgedacht, denn je klarer ihr das seht und diese Wahrheit erkennt, desto freier werdet ihr von jeglicher Abhängigkeit. Die älteren Leute haben keine wunderbare Gesellschaft geschaffen; die Eltern, die Minister, die Lehrer, die Herrschenden und die Priester haben keine schöne Welt geschaffen. Im Gegenteil, sie haben eine erschreckende, brutale Welt geschaffen, in der jeder gegen irgendjemanden kämpft; in der eine Gruppe gegen die andere, eine Gesellschaftsschicht gegen die andere, eine Nation gegen die andere, ein Glaubenssystem oder eine Ideologie gegen die andere ist. Die Welt, in der ihr aufwachst, ist eine hässliche, leidende Welt, in der die Älteren euch mit ihren Vorstellungen, ihren Glaubenssätzen, ihrer Hässlichkeit zu ersticken versuchen. Und was für einen Sinn macht es, ausgebildet zu werden, was für einen Sinn macht es, überhaupt zu leben, wenn ihr doch nur dem hässlichen Muster der älteren Leute folgt, die diese monströse Gesellschaft geschaffen haben?

Wenn ihr euch in der Welt umschaut, seht ihr überall entsetzliche Zerstörung und menschliches Leid. Vielleicht erfahrt ihr im Geschichtsunterricht etwas über Kriege, aber ihr wisst nicht, was Krieg wirklich bedeutet, wie Städte völlig zerstört werden, wie eine Atombombe, die über einer Insel abgeworfen wird, die ganze Insel verschwinden lässt. Schiffe werden bombardiert und fliegen in die Luft. Der ganze so genannte Fortschritt hat entsetzliche Zerstörungen mit sich gebracht, und in so einer Welt wachst ihr auf. Vielleicht habt ihr eine gute, glückliche Zeit, solange ihr klein seid; aber wenn ihr älter werdet, dann werdet ihr, wenn ihr nicht sehr wach seid und eure Gedanken und Gefühle beobachtet, diese Welt der Kämpfe, des rücksichtslosen Ehrgeizes aufrechterhalten, eine Welt, in der jeder mit jedem konkurriert, wo es Leid und Elend, Hunger, Überbevölkerung und Krankheiten gibt.

Ist es also nicht sehr wichtig, dass euch die richtigen Lehrer helfen, über diese Dinge nachzudenken, solange ihr jung seid, und dass man euch nicht bloß beibringt, ein paar dumme Prüfungen zu bestehen? Das Leben ist Leid, Tod, Liebe, Hass, Grausamkeit, Krankheit, Hunger, und ihr müsst anfangen, euch Gedanken über all diese Dinge zu machen. Deshalb habe ich das Gefühl, dass es gut ist, wenn wir uns diese Probleme gemeinsam anschauen, so dass eure Intelligenz geweckt wird und ihr anfangt, diese Dinge wirklich wahrzunehmen. Dann werdet ihr nicht heranwachsen, um einfach bloß zu heiraten und ein gedankenloser Angestellter oder eine Gebärmaschine zu werden und in diesem hässlichen Muster des Lebens zu verschwinden wie Wasser im Sand.

Eine der Ursachen von Angst ist Ehrgeiz, nicht wahr? Und seid ihr nicht alle ehrgeizig? Was ist euer Bestreben? Irgendeine Prüfung zu bestehen? Direktor zu werden? Wenn ihr sehr jung seid, wollt ihr vielleicht auch Lokomotivführer werden und mit Lokomotiven über Brücken fahren. Aber warum seid ihr ehrgeizig? Was bedeutet es? Habt ihr je darüber nachgedacht? Habt ihr bemerkt, wie ehrgeizig die Älteren sind? Habt ihr zu Hause euren Vater oder euren Onkel nicht über Gehaltserhöhungen oder bessere Stellungen reden hören? In unserer Gesellschaft – und ich habe bereits erklärt, was die Gesellschaft ist – tut das jeder; jeder versucht, an die Spitze zu kommen. Jeder will jemand werden, nicht wahr? Der Angestellte will Geschäftsführer werden, der Geschäftsführer will noch höher hinaus und so weiter und so weiter – der ständige Kampf, etwas zu werden. Wenn ich Lehrer bin, will ich Rektor werden; wenn ich Rektor bin, will ich Geschäftsführer werden. Wenn du hässlich bist, willst du schön werden. Oder du willst mehr Geld, mehr Kleider, mehr Möbel, Häuser, Grundstücke – mehr und mehr und mehr. Aber die Menschen wollen nicht nur äußerlich »jemand« werden, sondern auch innerlich, im so genannten spirituellen Sinn, obwohl sie diesen Ehrgeiz mit vielen Worten bemänteln. Habt ihr das nicht schon bemerkt? Und ihr denkt, das sei vollkommen in Ordnung, nicht wahr? Ihr denkt, das sei ganz normal und richtig.

Aber was hat Ehrgeiz in unserer Welt angerichtet? Wenige von uns haben je darüber nachgedacht. Habt ihr, wenn ihr einen Menschen seht, der etwas erreichen will, der einen anderen überholen will, euch je gefragt, was in seinem Herzen vor sich geht? Wenn ihr in euer eigenes Herz schaut, wenn ihr ehrgeizig seid, wenn ihr euch abmüht, im spirituellen oder weltlichen Sinn etwas zu werden, werdet ihr dort den Wurm der Angst finden. Der ehrgeizige Mensch ist der ängstlichste Mensch überhaupt, denn er hat Angst zu sein, was er ist. Er sagt sich: »Wenn ich bleibe, was ich bin, werde ich niemand sein, deshalb muss ich jemand werden, ich muss Bürgermeister, Richter, Minister werden.« Wenn ihr euch diesen Prozess genau anschaut, wenn ihr hinter die Kulissen schaut, hinter die Mauer von Status und Erfolg, werdet ihr Angst finden, denn der ehrgeizige Mensch hat Angst, zu sein, was er ist. Er denkt, dass das, was er von Natur aus ist, unbedeutend, armselig, hässlich sei; er fühlt sich einsam, absolut leer und sagt sich deshalb: »Ich muss mich anstrengen und etwas erreichen.« Also strebt er nach Gott, was nur eine andere Form von Ehrgeiz ist, oder er versucht, in der Welt etwas zu werden. Auf diese Weise wird seine Einsamkeit, sein Gefühl der inneren Leere – vor dem er wirklich Angst hat – zugedeckt. Er rennt davor weg, und Ehrgeiz wird zu seinem Fluchtweg.