Wie man zuhört – Teil 1

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man zuhören kann. Wenn ihr wirklich zuhören könnt, erfasst ihr unmittelbar den Kern einer Sache. Lauscht ihr reinem Klang, kommt ihr unmittelbar in Kontakt mit seiner Schönheit. Und so wäre es auch, wenn ihr dem, was gesagt wird, auf die richtige Weise zuhören könntet: Ihr würdet es unmittelbar verstehen. Zuhören ist die vollkommene Bündelung der Aufmerksamkeit. Ihr meint, dass Aufmerksamkeit eine ermüdende Angelegenheit sei, dass das Erlernen von Konzentration langweilig sei. Aber wenn ihr wirklich zuzuhören versteht, fällt euch Aufmerksamkeit überhaupt nicht schwer, und ihr werdet feststellen, dass ihr mit außerordentlicher Wachheit direkt zum Kern der Sache vordringt.

Die meisten von uns hören nicht wirklich zu. Wir werden von irgendwelchen Geräuschen abgelenkt, oder wir sind voreingenommen, haben ein Vorurteil, das uns die Dinge verzerrt wahrnehmen lässt und uns daran hindert, wirklich zu hören, was gesagt wird. Das gilt besonders für ältere Menschen, denn sie haben eine ganze Reihe von Erfolgen und Fehlschlägen hinter sich; sie sind »jemand« oder »ein Niemand« in der Welt, und es ist sehr schwer, die Schichten ihrer Überzeugungen und vorgefassten Meinungen zu durchdringen. Ihre Vorstellung, ihre Konditionierung, ihr Gefühl, etwas erreicht zu haben, verhindert, dass das Gesagte zu ihnen durchdringt. Aber wenn wir es verstehen, dem Gesagten ohne Abwehr, ohne Barriere oder Interpretation zu lauschen, so wie wir dem Lied eines Vogels am Morgen lauschen würden, dann ist Zuhören etwas Außergewöhnliches, besonders, wenn etwas Wahres gesagt wird. Es gefällt uns vielleicht nicht, wir weisen es vielleicht instinktiv zurück, aber wenn wir wirklich zuhören können, werden wir seine Wahrheit erkennen. Echtes Zuhören entlastet also den Geist, es befreit ihn von vielen Jahren des Scheiterns, des Erfolgs, des Wollens und Wünschens.

Ihr wisst, was Propaganda ist, nicht wahr? Es bedeutet, etwas zu propagieren, ständig eine bestimmte Idee oder Vorstellung auszusäen oder zu wiederholen. Auf diese Weise prägt der Propagandist, der Politiker oder der religiöse Führer eurem Geist ein, was er euch glauben machen will. Dieser Prozess hat natürlich auch etwas mit Zuhören zu tun. Solche Menschen wiederholen ständig, was ihr tun solltet, welche Bücher ihr lesen solltet, wem ihr folgen solltet, welche Vorstellungen richtig und welche falsch sind, und diese ständige Wiederholung hinterlässt einen Eindruck in eurem Geist. Selbst wenn ihr nicht bewusst zuhört, hinterlässt sie diesen Eindruck, und das ist der Zweck der Propaganda. Propaganda ist aber nichts anderes als ein Mittel zum Zweck, sie offenbart nicht diese Wahrheit, die ihr unmittelbar versteht, wenn ihr wirklich zuhört, wenn ihr aufmerksam seid, ohne euch anzustrengen.

Jetzt hört ihr mir zu. Ihr macht keine Anstrengung, zuzuhören, ihr hört einfach zu. Und wenn in dem, was ihr hört, eine Wahrheit steckt, werdet ihr feststellen, dass in eurem Innern eine bemerkenswerte Veränderung stattfindet: eine Veränderung, die nicht vorsätzlich herbeigeführt oder herbeigewünscht wurde, eine Transformation, eine totale Revolution, in der allein die Wahrheit zählt und nicht die Schöpfungen eures Geistes. Und ich würde euch empfehlen, allem auf diese Weise zu lauschen – nicht nur dem, was ich sage, sondern auch dem, was andere Menschen sagen, den Vögeln, dem Pfeifen einer Lokomotive oder dem Geräusch eines vorbeifahrenden Busses. Ihr werdet feststellen, dass die Stille zunimmt, je mehr ihr allem lauscht, und diese Stille wird dann nicht von Lärm zerstört. Nur wenn ihr einen Widerstand gegen irgendetwas aufbaut, wenn ihr eine Barriere errichtet zwischen euch und etwas, das ihr nicht hören wollt – nur dann entsteht ein Konflikt.

Ist es also nicht sehr wichtig, innerlich und äußerlich feiner zu werden? Wisst ihr, was Verfeinerung ist? Es bedeutet, sensibel zu werden für alles, was euch umgibt, und auch für die Gedanken, Überzeugungen und Gefühle in eurem Innern. Verfeinerung spiegelt sich in eurer Art, euch zu kleiden, in euren Manieren, euren Gesten, in der Art, wie ihr geht, redet oder Menschen anschaut. Und sie ist etwas Wesentliches, oder nicht? Denn ohne Verfeinerung kommt es zum Niedergang.

Wisst ihr, was mit Niedergang gemeint ist? Das Gegenteil von Kreativität, Aufbau, von der Fähigkeit, neue Wege einzuschlagen und etwas zu entwickeln. Niedergang ist gleichbedeutend mit einem langsamen Verfall, einem Rückschritt – und genau das geschieht in der Welt. In Schulen und Universitäten, zwischen Nationen, zwischen Menschen, im Einzelnen findet ein allmählicher Verfallsprozess statt. Dieser Prozess läuft ununterbrochen ab, weil keine innere Verfeinerung stattfindet. Vielleicht erreicht man eine gewisse äußere Verfeinerung, trägt feine Kleider, lebt in einem schönen Haus, nimmt gute Nahrung zu sich, achtet sorgfältig auf Hygiene und Sauberkeit; aber ohne innere Verfeinerung bleibt die äußere Vervollkommnung ziemlich bedeutungslos. Sie ist dann eigentlich nur eine andere Art von Niedergang. Wenn man schöne Dinge besitzt, aber innerlich grob ist, das heißt mit seiner eigenen Eitelkeit und Großartigkeit beschäftigt ist, mit den eigenen ehrgeizigen Zielen und Erfolgen, dann ist das ebenfalls ein Niedergang.

Wir finden Schönheit in der Poesie, in einer Person oder einem herrlichen Baum, aber sie erhält nur durch die innere Verfeinerung der Liebe Bedeutung. Wenn Liebe da ist, ist die Verfeinerung innerlich und äußerlich. Verfeinerung drückt sich äußerlich in der Rücksichtnahme auf andere aus, in der Art, wie ihr eure Eltern, eure Nachbarn, eure Hausangestellten, euren Gärtner behandelt. Der Gärtner hat vielleicht einen wunderschönen Garten für euch angelegt, aber ohne diese innere Feinheit, die Liebe ist, ist der Garten bloß ein Ausdruck eurer Eitelkeit.

Es ist also ganz wesentlich, dass die Verfeinerung innen und außen stattfindet. Beispielsweise ist es sehr wichtig, wie ihr esst – wenn ihr beim Essen lärmt, fällt das sehr ins Gewicht. Die Art, wie ihr euch benehmt, eure Manieren im Zusammensein mit euren Freunden, wie ihr über andere sprecht – all diese Dinge sind wichtig, denn sie weisen darauf hin, wie es in eurem Innern aussieht, sie zeigen, ob eine innere Feinheit da ist. Ein Mangel an innerer Feinheit drückt sich im äußeren Verfall der Form aus; äußere Verfeinerung ist also ziemlich bedeutungslos, wenn keine Liebe da ist. Und wir haben gesehen, dass Liebe nichts ist, das wir besitzen können. Sie erblüht nur, wenn der Geist die komplexen Probleme versteht, die er selbst geschaffen hat.