Die Bedeutung von Wörtern verstehen – Teil 1

Wir haben über die zerstörerischen Faktoren in der menschlichen Existenz gesprochen, und wir haben gesagt, dass Angst eine der Hauptursachen dieses destruktiven Prozesses ist. Außerdem haben wir gesagt, dass es zerstörerisch ist, irgendeiner Art von Autorität zu folgen – ob selbst auferlegter oder von außen aufgezwungener Autorität –, und dass jede Form des Imitierens, Nachahmens den Anreiz, etwas Eigenes zu machen, schöpferisch zu sein zerstört und einen Menschen daran hindert, zu entdecken, was wahr ist.

Der Wahrheit kann man nicht folgen, man muss sie entdecken. Ihr findet sie nicht in irgendeinem Buch oder indem ihr Wissen ansammelt. Wir haben ja vor einigen Tagen darüber gesprochen, dass Erfahrungen zu gespeicherten Gedächtnisinhalten werden und dass das Abrufen dieser Inhalte kreatives Verstehen unmöglich macht. Aber auch jedes Gefühl des Neids oder der Bosheit, wie subtil es auch sein mag, zerstört die Fähigkeit zu kreativem Verstehen, ohne die der Mensch nicht wirklich glücklich sein kann. Glück kann man weder kaufen noch anstreben, aber es ist da, wenn kein innerer Konflikt existiert.

Ist es also nicht sehr wichtig, dass wir noch im Schulalter lernen, die Bedeutung von Wörtern und Begriffen zu verstehen? Für die meisten von uns ist das Wort, das Symbol zu etwas sehr Zerstörerischem geworden, und wir sind uns dessen noch nicht einmal bewusst. Wisst ihr, was ich mit »Symbol« meine? Ein Symbol ist der Schatten der Wahrheit. Beispielsweise ist die Stimme auf einer Schallplatte nicht die echte Stimme, aber man hat die Stimme auf die Schallplatte übertragen, und dieser Stimme lauschen wir. Wörter, Symbole, Bilder und Vorstellungen sind nicht die Wahrheit; aber wir vergöttern das Bild, wir verehren das Symbol, wir messen dem Wort große Bedeutung bei, und das ist sehr destruktiv, denn dann steht das Wort, das Symbol, das Bild im Vordergrund. Auf diese Weise werden beispielsweise die Tempel, Kirchen und verschiedenen organisierten Religionen mit ihren Symbolen, Glaubenssätzen und Dogmen zu Barrieren, die den menschlichen Geist hindern, darüber hinauszugehen und die Wahrheit zu entdecken. Verfangt euch also nicht in Begriffen und Symbolen, die automatisch Gewohnheiten entstehen lassen. Gewohnheit ist etwas äußerst Destruktives, denn sie verhindert stets kreatives Denken.

Vielleicht versteht ihr das, was ich sage, jetzt nicht in seiner ganzen Bedeutung, aber wenn ihr darüber nachdenkt, werdet ihr es verstehen. Geht manchmal allein spazieren und denkt über diese Dinge nach. Findet heraus, was mit Begriffen wie »Leben«, »Gott«, »Pflicht«, »Kooperation« gemeint ist – all diesen besonderen Begriffen, die uns so leicht über die Lippen gehen.

Habt ihr euch je gefragt, was »Pflicht« bedeutet? Pflicht zu was? Pflicht gegenüber den alten Leuten oder der Tradition: dass man sich für seine Eltern, sein Land, seinen Gott opfern muss. Dieser Begriff »Pflicht« ist für euch außerordentlich wichtig geworden, nicht wahr? Er ist mit Bedeutungen befrachtet, die euch aufgezwungen werden. Man bringt euch bei, dass ihr eurem Land, euren Göttern, eurem Nachbarn gegenüber eine Verpflichtung habt, aber viel wichtiger als das Wort »Pflicht« ist, dass ihr selbst herausfindet, was die Wahrheit ist. Eure Eltern und die Gesellschaft benutzen das Wort »Pflicht«, um euch zu formen, euch an ihre Anschauungen, ihre Art zu denken, ihre Vorlieben und Abneigungen anzupassen, und sie hoffen, damit eine Garantie für ihre eigene Sicherheit zu haben. Nehmt euch also Zeit, seid geduldig, geht den Dingen auf den Grund und findet selbst heraus, was wahr ist. Akzeptiert das Wort »Pflicht« nicht einfach, denn wo »Pflicht« ist, ist keine Liebe.

Oder schaut euch das Wort »Kooperation« an. Der Staat will, dass ihr mit ihm zusammenarbeitet. Wenn ihr mit jemandem zusammenarbeitet, ohne zu verstehen warum, dann seid ihr nur Nachahmer, ihr imitiert andere nur. Aber wenn ihr versteht, wenn ihr die Wahrheit einer Sache entdeckt, dann bedeutet eure Kooperation, dass ihr mit dieser Sache lebt, dann ist sie ein Teil von euch.

Es ist also absolut notwendig, dass ihr euch der Bedeutung von Wörtern, Symbolen und Bildern bewusst seid, die euer Denken verkrüppeln. Sich ihrer bewusst zu sein und herauszufinden, ob ihr über sie hinausgehen könnt, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine kreative Lebensweise, ein Leben ohne innere Zerrissenheit.

Wir lassen zu, dass uns das Wort »Pflicht« umbringt. Die Vorstellung, dass ihr eine Verpflichtung gegenüber euren Eltern, gegenüber Beziehungen, gegenüber dem Land habt, lässt euch zu Opfern werden. Sie bringt euch dazu, in die Welt zu gehen und zu kämpfen, zu töten und getötet oder verstümmelt zu werden. Der Politiker, der politische Führer sagt, es sei notwendig, andere zu vernichten, um die Gemeinde, das eigene Land oder die eigene Lebensweise zu verteidigen; also wird das Töten zum Teil eurer Pflicht, und ihr werdet schnell in das militärische Denken hineingezogen. Der militärische Geist macht euch folgsam, macht euch äußerlich sehr diszipliniert, aber innerlich werdet ihr langsam zerstört, weil ihr nachahmt, folgt, imitiert. Ihr werdet einfach zu einem Werkzeug der Älteren, der Politiker, zu einem willigen Instrument der Propaganda. Ihr fangt an, das Töten als unvermeidlich zu akzeptieren, um euer Vaterland zu verteidigen, weil irgendjemand sagt, dass das notwendig sei. Aber wer auch immer das sagt, solltet ihr nicht selbst sehr gründlich darüber nachdenken?