Freiheit und Disziplin verstehen – Teil 1

Disziplin ist wirklich ein ziemlich komplexes Problem, denn die meisten von uns glauben, dass wir durch irgendeine Form von Disziplin schließlich Freiheit erlangen. Disziplin ist das Aufbauen von Widerstand, nicht wahr? Indem wir in uns einen Widerstand, eine Barriere gegen etwas aufbauen, das wir als falsch oder schlecht betrachten, meinen wir, mehr verstehen und frei sein zu können – frei für ein erfülltes Leben. Aber das ist nicht der Fall. Je mehr wir gegen eine Sache Widerstand leisten oder ankämpfen, desto weniger verstehen wir sie. Nur wenn echte Freiheit da ist, die Freiheit, zu denken, zu entdecken – kann man etwas herausfinden.

Aber Freiheit kann ganz offensichtlich nicht innerhalb eines vorgegebenen Rahmens existieren. Und die meisten von uns leben innerhalb eines Rahmens, in einer Welt, die von Vorstellungen begrenzt wird, nicht wahr? Eure Eltern und Lehrer sagen euch beispielsweise, was richtig und falsch, gut und schlecht ist. Ihr wisst, was die Leute sagen, was der Priester sagt, was die Tradition sagt und was ihr in der Schule gelernt habt. Aus all dem bildet sich eine Art Umzäunung, und ihr sagt, ihr seid frei, während ihr doch in diesem Gefängnis lebt. Seid ihr wirklich frei? Kann ein Mensch jemals frei sein, solange er in einem Gefängnis lebt?

Man muss also die Gefängnismauern der Tradition niederreißen und für sich selbst herausfinden, was echt und wahr ist. Man muss experimentieren und die Dinge selbst entdecken, und nicht einfach jemandem folgen, wie gut, wie edel und interessant dieser Mensch auch sein mag und wie glücklich man sich in seiner Gegenwart auch fühlt. Worauf es ankommt, ist, dass man in der Lage ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, und nicht einfach alle Werte akzeptiert, die die Tradition hervorgebracht hat, alles, was die Leute als gut, segensreich und wertvoll bezeichnen. In dem Moment, in dem ihr akzeptiert, fangt ihr an, euch anzupassen, andere nachzuahmen, und durch Anpassung, Nachahmung und Nachfolgen kann man niemals frei und glücklich werden.

Die Altvorderen sagen, dass man diszipliniert sein muss. Disziplin wird euch von euch selbst und von anderen aufgezwungen. Aber es kommt darauf an, frei zu sein, zu denken und zu forschen, damit man anfängt, selbst die Wahrheit zu entdecken. Unglücklicherweise wollen die meisten Menschen nicht selbst denken oder entdecken, ihr Geist ist verschlossen. Es ist sehr schwierig, den Dingen auf den Grund zu gehen und selbst herauszufinden, was wahr ist. Das setzt ein waches Bewusstsein und ständiges Fragen voraus, und die meisten Menschen haben dafür weder die Neigung noch die notwendige Energie. Sie sagen: »Du weißt es besser als ich; du bist mein Guru, mein Lehrer und ich werde dir folgen.«

Es ist also sehr wichtig, dass ihr schon vom zartesten Alter an die Freiheit habt, Dinge zu entdecken, und nicht von einer Mauer von Geboten und Verboten umgeben seid. Denn was passiert mit eurer Intelligenz, wenn man euch ständig sagt, was ihr tun und lassen sollt? Ihr werdet zu einem gedankenlosen Menschen, der einfach irgendeine Berufslaufbahn einschlägt, der von seinen Eltern gesagt bekommt, wen er heiraten oder nicht heiraten soll, und das hat ganz offensichtlich nichts mit Intelligenz zu tun. Ihr besteht vielleicht eure Prüfungen und verdient eine Menge Geld, ihr habt vielleicht schöne Kleidung, edlen Schmuck und jede Menge Freunde und Ansehen, aber solange ihr an die Tradition gebunden seid, kann keine Intelligenz da sein.

Intelligenz entwickelt sich nur, wenn ihr die Freiheit habt, Dinge zu hinterfragen, zu untersuchen und zu entdecken, so dass euer Geist sehr aktiv, sehr wach und klar wird. Dann seid ihr voll integrierte Individuen – keine von Angst getriebenen Menschen, die, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen, innerlich etwas Bestimmtes fühlen und sich äußerlich an etwas anderes anpassen.

Intelligenz setzt voraus, dass ihr aus der Tradition ausbrecht und auf eigenen Beinen steht. Aber ihr lebt innerhalb der Grenzen der Vorstellungen eurer Eltern in Bezug auf das, was ihr tun oder lassen sollt, und werdet von den gesellschaftlichen Traditionen begrenzt. In eurem Innern spielt sich also ein Konflikt ab, nicht wahr? Ihr seid jung, aber ich glaube nicht, dass ihr zu jung seid, um euch dieser Dinge bewusst zu sein. Ihr wollt etwas tun, aber eure Eltern und Lehrer sagen: »Tu’ das nicht.« Also gibt es einen inneren Kampf, und solange ihr ihn nicht auflöst, bleibt ihr in diesem Konflikt, im Schmerz, im Leid gefangen, denn es geht ewig so weiter, dass ihr etwas tun wollt und daran gehindert werdet.

Wenn ihr euch das einmal genau betrachtet, seht ihr, dass Disziplin und Freiheit im Widerspruch zueinander stehen und dass bei der Suche nach Freiheit ein ganz anderer Prozess in Gang gesetzt wird, der seine eigene Klärung mit sich bringt, so dass ihr bestimmte Dinge einfach nicht tut.

Solange ihr jung seid, ist es sehr wichtig, dass ihr die Freiheit habt und dass man euch hilft, herauszufinden, was ihr wirklich im Leben tun wollt. Wenn ihr das nicht herausfindet, solange ihr jung seid, werdet ihr es nie herausfinden, werdet ihr nie freie, glückliche Menschen sein. Die Saat muss jetzt gesät werden, damit ihr jetzt damit beginnt, die ersten Schritte zu machen.

Auf dem Weg ins Dorf seid ihr oft Dorfbewohnern begegnet, die schwere Lasten trugen, nicht wahr? Was fühlt ihr in Bezug auf diese Menschen? Diese armen Frauen mit ihren zerrissenen und schmutzigen Kleidern, die nie genug zu essen haben und täglich für einen Hungerlohn arbeiten – empfindet ihr überhaupt etwas für sie? Oder seid ihr so voller Angst, so mit euch selbst beschäftigt, so besorgt wegen eurer Prüfungen, eures Aussehens, eurer Kleidung, dass ihr diese Menschen nie beachtet? Habt ihr das Gefühl, dass ihr viel besser seid als sie, dass ihr einer höheren Gesellschaftsschicht angehört und sie deshalb überhaupt nicht zu beachten braucht? Was fühlt ihr, wenn sie an euch vorbeigehen? Verspürt ihr nicht den Wunsch, ihnen zu helfen? Nein? Das zeigt, wie ihr denkt. Seid ihr durch die jahrhundertealte Tradition, durch das, was eure Väter und Mütter gesagt haben, so abgestumpft, lebt ihr so sehr im Bewusstsein, einer bestimmten Klasse anzugehören, dass ihr die Dorfleute nicht einmal eines Blickes würdigt? Seid ihr wirklich so blind, dass ihr nicht wisst, was um euch herum geschieht?

Es ist Angst – die Angst davor, was eure Eltern sagen werden, was die Lehrer sagen werden, die Angst vor der Tradition, die Angst vor dem Leben –, die eure Sensibilität allmählich zerstört, oder nicht? Wisst ihr, was Sensibilität ist? Sensibel zu sein bedeutet, zu fühlen, Eindrücke zu empfangen, Sympathie für die zu empfinden, die leiden, Zuneigung zu verspüren, bewusst wahrzunehmen, was um einen herum geschieht. Nehmt ihr es wahr, wenn die Tempelglocken läuten? Lauscht ihr ihrem Klang? Seht ihr je bewusst das Sonnenlicht auf dem Wasser? Nehmt ihr die armen Leute wahr, die Dorfbewohner, die seit Jahrhunderten von Ausbeutern kontrolliert und niedergemacht werden? Packt ihr mit an, wenn ihr einen Diener seht, der einen schweren Teppich schleppt?

All das weist auf Sensibilität hin. Aber Sensibilität wird zerstört, wenn man diszipliniert wird, wenn man Angst hat oder nur mit sich selbst beschäftigt ist. Mit seinem Aussehen, seiner Kleidung beschäftigt zu sein, die ganze Zeit nur über sich selbst nachzudenken – was die meisten von uns in der einen oder anderen Form tun – bedeutet, unsensibel zu sein, denn dann sind Herz und Geist verschlossen und man ist nicht mehr fähig, Schönheit zu würdigen.

Wahre Freiheit geht mit großer Sensibilität einher. Es kann keine Freiheit geben, wenn ihr nur um euch selbst kreist oder von verschiedenen Mauern der Disziplin umschlossen seid. Solange euer Leben ein Prozess der Nachahmung ist, kann keine Sensibilität, keine Freiheit existieren. Es ist sehr wichtig, dass ihr die Saat der Freiheit sät, solange ihr hier seid, denn das bedeutet, eure Intelligenz wachzurufen, und mit dieser Intelligenz könnt ihr allen Problemen des Lebens begegnen.