Die Wahrheit entdecken – Teil 1

Wenn ihr klein seid, wollt ihr alles wissen – warum die Sonne scheint, was die Sterne sind; ihr wollt alles über den Mond und die Welt um uns herum wissen, aber wenn wir älter werden, wird Wissen zur bloßen Ansammlung von Informationen, ohne jede Lebendigkeit. Wir werden zu Spezialisten, wissen viel über dieses oder jenes Thema und zeigen wenig Interesse an unserer Umgebung, dem Bettler auf der Straße, dem Reichen, der in seinem Auto vorbeifährt. Wenn wir wissen wollen, warum es Reichtum und Armut auf der Welt gibt, können wir eine Erklärung dafür finden. Es gibt für alles eine Erklärung, und die meisten von uns scheinen sich mit Erklärungen zufrieden zu geben.

Das Gleiche gilt für die Religion. Wir geben uns mit Erklärungen zufrieden, und wir nennen es »Wissen«, wenn wir alles auf Erklärungen reduzieren. Meinen wir das, wenn wir von Bildung, von Erziehung sprechen? Lernen wir, etwas zu entdecken, etwas herauszufinden oder verlangen wir nur nach Erklärungen, Definitionen, Schlussfolgerungen, um unseren Geist zu beruhigen, damit wir den Dingen nicht weiter auf den Grund gehen müssen?

Unsere Eltern und älteren Bezugspersonen haben uns vielleicht alles erklärt, aber unser Interesse und unsere Neugier wurden dadurch im Allgemeinen erstickt. Und wenn wir älter werden, wird das Leben komplizierter und sehr schwierig. Es gibt so viel zu verstehen und so viel Elend und Leid, und angesichts dieser Komplexität denken wir, wir hätten alles gelöst, wenn wir es wegrationalisieren.

Jemand stirbt und sein Tod wird wegdiskutiert, also wird das Leid in Erklärungen erstickt. Vielleicht protestieren wir gegen Kriege, wenn wir jung sind, aber wenn wir älter werden, akzeptieren wir die Erklärungen für den Krieg und unser Geist stumpft ab.

Es ist wichtig, dass wir uns in jungen Jahren nicht mit Erklärungen zufrieden geben, sondern herausfinden, wie man intelligent sein und dadurch die Wahrheit in den Dingen entdecken kann. Wir können nicht intelligent sein, wenn wir nicht frei sind. Es heißt, wir könnten erst frei sein, wenn wir alt und weise geworden sind, aber es ist immens wichtig, dass wir schon als ganz kleine Kinder frei sind – nicht zu machen, was wir wollen, aber in Freiheit unsere eignen Instinkte und Impulse zu verstehen. Wir müssen eine Freiheit erlangen, in der die Angst keinen Platz hat, aber man kann nicht durch eine Erklärung angstfrei werden. Wir sind uns des Todes und der Angst vor dem Tod bewusst. Aber können wir wissen, was sterben ist, oder frei von der Angst vor dem Tod sein, wenn wir den Tod erklären?

Wenn wir älter werden, ist es sehr wichtig, dass wir fähig zu einfachem Denken sind. Was ist Einfachheit? Wer ist ein einfacher Mensch? Ist ein Mensch, der das Leben eines Einsiedlers führt und kaum etwas besitzt, wirklich ein einfacher Mensch? Ist nicht Einfachheit etwas ganz anderes? Einfachheit ist Einfachheit des Geistes und des Herzens. Die meisten von uns sind sehr vielschichtig, wir haben viele Anliegen und Wünsche. Ihr wollt beispielsweise eure Prüfungen bestehen, wollt eine gute Arbeit finden, ihr habt Ideale und wollt einen guten Charakter entwickeln und so weiter. Wir haben so viele Ansprüche. Ist das Einfachheit? Und ist es nicht sehr wichtig, etwas zu entdecken?

Ein komplizierter Geist ist unfähig, die Wahrheit von irgendetwas zu entdecken, er kann nicht herausfinden, was wirklich ist – und das ist unser Problem. Von klein auf werden wir abgerichtet, uns anzupassen, und wir wissen nicht, wie wir Komplexität auf Einfachheit reduzieren können. Nur der ganz einfach und direkt denkende Geist kann die Wirklichkeit, das Wahre finden. Wir wissen immer mehr, aber unser Geist ist nie einfach, und nur der einfache Geist ist kreativ.

Wenn ihr einen Baum malt, was malt ihr dann? Malt ihr einfach nur ein Bild des Baumes; malt ihr ihn so, wie er aussieht, in allen Einzelheiten, mit seinen Blättern, seinen Ästen und seinem Stamm, oder malt ihr ihn aus dem Gefühl heraus, das er in euch ausgelöst hat? Wenn der Baum euch etwas sagt und ihr ihn aus dieser inneren Erfahrung heraus malt, wird euer Bild große Einfachheit ausstrahlen, selbst wenn euer Gefühl sehr komplex ist.

Es ist unbedingt notwendig, dass ihr als junge Menschen im Geiste sehr einfach und unverdorben bleibt, ganz gleich, wie viele Informationen ihr aufnehmt.

Frage: Wären wir alle frei von Angst, wenn wir richtig erzogen würden?

Krishnamurti: Es ist sehr wichtig, frei von Angst zu sein, nicht wahr? Und Angstfreiheit ist nur durch Intelligenz möglich. Lass uns also zuerst herausfinden, wie man intelligent sein kann, und nicht, wie man die Angst loswerden kann. Wenn wir herausfinden können, was es heißt, intelligent zu sein, dann wissen wir, wie wir die Angst loswerden. Angst ist immer auf etwas bezogen, sie existiert nicht für sich allein. Es gibt die Angst vor dem Tod, die Angst vor Krankheit, die Angst vor Verlusten, die Angst vor den Eltern, die Angst vor dem, was die Leute sagen werden und so weiter. Und die Frage ist nicht, wie wir die Angst loswerden können, sondern, wie man die Intelligenz weckt, die einem hilft, der Angst ins Gesicht zu sehen, sie zu verstehen und darüber hinauszugehen.