Selbstachtung – Teil 1

Sie hatte drei Bekannte mitgebracht, ernste Männer mit jener natürlichen Würde des Benehmens, die ein Kennzeichen wirklicher Bildung ist. Der eine fasste blitzschnell auf, der zweite war in seinem Scharfsinn ungeduldig, der dritte war voll Eifer und Wissbegier, besaß aber anscheinend nicht allzu viel Ausdauer. Sie bildeten eine gute Gemeinschaft, da sie alle an dem Problem ihrer Bekannten lebhaften Anteil nahmen, ohne ihr jedoch ständig mit guten Ratschlägen und gewichtigen Meinungen in den Ohren zu liegen. Sie wollten ihr nur alle helfen, das zu tun, was sie für das Rechte hielt, dabei sollte sie sich auf keinen Fall durch Tradition, öffentliche Meinung und persönliche Neigungen irremachen lassen. Die Schwierigkeit lag darin herauszufinden, was das Richtige war. Sie selbst hätte es nicht sagen können, ihr ganzes Wesen war in Aufruhr und Verwirrung. Dabei drängten sie die Umstände zum Handeln, sie musste sofort ihre Entscheidung treffen und durfte keinen Tag länger damit warten. Es ging darum, die Beziehung zu einem anderen Menschen vollständig zu lösen, so dass sie ihre Freiheit wiedergewann. Sie wiederholte mehrere Male, dass sie unbedingt frei sein wolle.

Im Zimmer herrschte eine wohltuende Ruhe, die allgemeine Aufregung hatte sich gelegt, und nun machten sich alle mit Eifer daran, sich in das Problem zu vertiefen, ohne ein Ergebnis oder einen Einfall zu erwarten, der ihnen den Weg gewiesen hätte. Die einzig richtige Handlungsweise musste sich auf natürliche Weise und in vollem Umfang offenbaren, wenn der Kern des Problems bloßgelegt war. Es galt also, den Inhalt des Problems aufzudecken und nicht nur die Endsituation, das Ergebnis, zu betrachten, denn jede Reaktion auf dieses Ergebnis wäre nur eine neue Schlussfolgerung, eine neue Meinung, eine neue Weisung gewesen, die samt und sonders nichts zur Lösung des Problems beigetragen hätten. Wir mussten uns also unbedingt mit dem Problem selbst und nur mit ihm befassen, nicht aber mit der Frage, wie man es anpacken oder wie man darauf reagieren sollte. Da jedes Problem die richtige Lösung in sich birgt, kommt alles darauf an, es so anzufassen, dass diese Lösung offenbar wird.

Die Gewässer des Stroms tanzten in der glitzernden Lichtbahn, die die Sonne über sie gebreitet hatte. Ein weißes Segel glitt über diese Bahn, ohne den Tanz der Wellen zu stören, in dem sich die ganze Seligkeit des Seins auszujubeln schien. In den Bäumen wimmelte es von Vögeln, die unter Schelten und Geschrei ihr Gefieder putzten und ab und zu wegflitzten, um sofort zurückzukehren. Ein paar Affen rissen sich die zarten Blätter ab und stopften sie in ihre Mäuler, unter ihrem Gewicht bogen sich die dünnen Äste tief herab, dennoch hielten sie sich mit Leichtigkeit auf ihrem schwankenden Sitz und hatten keine Angst. Wie gewandt sich diese Tiere von Ast zu Ast bewegten! Ihre Sprünge wirkten wie Flug, Start und Landung, verschmolzen zu einer einzigen Bewegung. Dazwischen saßen sie mit baumelnden Schwänzen friedlich auf ihren Ästen und holten sich frische Blätter heran. Was kümmerten sie dort oben auf ihrem hohen Baum die Menschen, die unter ihnen vorüberkamen? Als die Dunkelheit nahte, erschienen zu Hunderten die Papageien, um sich für die Nacht im dichten Laub ein Versteck zu suchen. Man sah sie blitzschnell herbeischießen und im Blattwerk verschwinden. Der neue Mond zeigte seine erste schmale Sichel, weit in der Ferne ertönte der schrille Pfiff eines Zuges, während er über die lange Brücke fuhr, die sich hinter der nächsten Biegung von Ufer zu Ufer spannte. Dieser Strom war heilig, die Menschen kamen von weit her, um darin zu baden und auf diese Art ihre Sünden abzuwaschen. Jeder Fluss ist lieblich und heilig, die besondere Schönheit dieses einen lag in dem edlen, weiten Schwung seines Laufs, den Sandinseln, die die tiefen Rinnen voneinander trennten, und den stillen, weißen Segeln, die den ganzen Tag über stromauf und stromab glitten.

»Ich möchte mich ganz und gar von einem anderen Menschen lösen«, sagte sie.

Sie wollen sich lösen, was meinen Sie damit? Wenn Sie sich lösen wollen, dann bedeutet das doch, dass Sie nicht frei sind. In welcher Beziehung sind Sie denn unfrei?

»Physisch bin ich frei, ich kann kommen und gehen, wie ich will, denn ich habe mich von dem Mann getrennt. Aber ich möchte endlich ganz von ihm loskommen, er soll aus meinem Leben verschwinden, ich möchte nichts mehr mit ihm zu schaffen haben.«

Haben Sie denn noch eine Beziehung zu ihm, da Sie doch sagen, Sie seien physisch frei? Sind Sie etwa in anderer Form an ihn gebunden?

»Das weiß ich nicht. Aber ich trage immer noch einen wütenden Groll gegen diesen Menschen mit mir herum, obwohl ich nichts mehr von ihm wissen möchte.«

Sie möchten von ihm los sein, dennoch grollen Sie ihm? Das bedeutet allerdings, dass Sie sich noch nicht ganz von ihm gelöst haben. Warum hegen Sie eigentlich diesen Groll gegen den Mann?

»Mir gingen erst kürzlich die Augen über ihn auf, da sah ich ihn plötzlich so, wie er wirklich ist, gemein, bar jeder Liebe und besessen von Selbstsucht. Ich kann Ihnen nicht schildern, welcher Abgrund sich da vor mir auftat. Und ich war in meiner Blindheit noch auf ihn eifersüchtig, ich vergötterte ihn, ich fügte mich seinem Willen! Als ich erkennen musste, dass er nicht der ideale Ehemann, der liebevolle und herzensgute Mensch war, den ich in ihm gesehen hatte, sondern ein gemeiner, gerissener Dummkopf, da packte mich der wütende Zorn auf ihn, der mich nun nicht mehr loslässt. Ich fühle mich beschmutzt, wenn ich daran denke, dass ich mit diesem Menschen zu schaffen hatte. Er soll aus meinem Leben verschwinden, ich will mich endlich frei von ihm fühlen.«