»Was soll ich tun?« – Teil 1

Wir wanderten hoch am Berghang, unsere Blicke schweiften weit über das Tal, der mächtige Strom glänzte im Sonnenschein wie ein silbernes Band. Hier und dort schien die Sonne durch das dichte Laubdach, und über allem schwebte der zarte Duft von vielen, vielen Blumen. Der Morgen war köstlich frisch, der Tau hing noch schwer an Blättern und Halmen. Die duftgeschwängerte Brise kam quer über das Tal und trug die fernen Stimmen von Menschen, den Klang von Glocken und zuweilen den Ton eines Wasserhorns zu uns herauf. Unten im Tal stieg der Rauch senkrecht in die Höhe, die Brise war dort nicht stark genug, ihn zu verwehen. Die Rauchsäule fesselte den Blick durch ihre Schönheit, wie sie sich aus dem Talgrund erhob und einer uralten Pinie gleich gen Himmel strebte. Ein großes schwarzes Eichhörnchen schalt uns von hoch oben her aus, dann gab es sein lautes Gezänke auf und kam neugierig vom Baum herunter, um uns aus größerer Nähe zu betrachten. Schließlich suchte es halbwegs beruhigt in lustigen Sprüngen das Weite. Über uns schwebte eine einzige kleine weiße Wolke im reinen, lichten Blau des Himmels.

Er hatte für diese Fülle des Schönen keinen Blick übrig, weil ihm wieder einmal ein Problem auf den Nägeln brannte. So war es bei ihm schon immer gewesen, er ließ sich von jeder Frage so bedrängen, dass sie ihn geradezu aufrieb. Die Probleme lösten einander ab und nisteten sich mit ihrem Unwesen bei ihm ein. Er war ein sehr reicher Mann, seine hagere Erscheinung wirkte hart und streng, dabei hatte er eine verbindliche Art und immer ein freundliches Lächeln bereit. Jetzt schweifte auch sein Blick über das Tal hinweg, aber die belebende Schönheit des Bildes schien ihn nicht zu berühren, seine Züge entspannten sich nicht, sie blieben so hart und entschlossen wie je. Er war also immer noch auf der Jagd, aber nicht etwa nach Geld, sondern nach dem, was er Gott nannte. Jedes Wort aus seinem Munde drehte sich um die Liebe und um Gott. Seine Jagd hatte ihn in alle Fernen geführt, er hatte viele Lehrer aufgesucht, und je älter er wurde, desto verbissener jagte er weiter.

Es war nicht das erste Mal, dass er zu mir kam, um sich über diese Dinge auszusprechen, aber das, was er dabei sagte, hatte immer einen Unterton schlauer Berechnung gehabt, als erwöge er fortwährend, was es ihn wohl kosten würde, seinen Gott zu finden, wie teuer ihn die Reise wohl zu stehen komme. Dabei wusste er ganz genau, dass er nicht mitnehmen konnte, was er besaß, aber vielleicht gab es eben dort noch etwas anderes, eine Münze, die man dort in Zahlung nahm, wohin er gehen musste. Er war ein harter Mann, jede Großzügigkeit des Herzens oder der Hand war ihm fremd. Es kostete ihn jedes Mal Überwindung, dem geforderten Betrag eine Kleinigkeit zuzulegen, weil er die Ansicht vertrat, dass jedermann seinen Lohn redlich verdienen müsse, so wie auch er ihn verdient habe.

Heute nun war er gekommen, um mich tiefer in sein Inneres blicken zu lassen, denn über seinem Haupt braute sich Unheil zusammen. Das Gefüge seines sonst so erfolgreichen Daseins schien in seinen Grundfesten erschüttert, die Göttin des Erfolges hatte ihm den Rücken gekehrt.

»Ich beginne jetzt zu erkennen, was ich wirklich bin«, sagte er. »In all den Jahren habe ich mein inneres Widerstreben gegen das, was Sie sagten, mit spitzfindigen Vorbehalten genährt. Sie reden gegen die Reichen, Sie beschuldigen uns der schlimmsten Sünden, darum habe ich mich gründlich über Sie geärgert. Ich hätte nur zu gern zurückgeschlagen, aber ich konnte Ihnen nicht beikommen. Wie immer ich es auch versuchte, Sie waren nicht zu fassen. Trotz alledem komme ich jetzt zu Ihnen, um Sie zu fragen, wie es weitergehen soll. Wollte Gott, ich wäre nie in Ihre Nähe gekommen und hätte Ihnen nie zugehört. Früher schlief ich glänzend, heute habe ich schlaflose Nächte, Träume kannte ich kaum, jetzt erfüllen sie meinen unruhigen Schlaf mit scheußlichen Bildern. Ich hatte Angst vor Ihnen, ich habe Sie im stillen verflucht – aber ich finde nicht zu meinem alten Zustand zurück. Was soll ich also tun? Freunde habe ich nicht – auch das weiß ich von Ihnen, ich kann sie auch nicht mehr wie früher kaufen. Nach dem, was zwischen uns war, bin ich vor mir selber so entsetzlich bloßgestellt, dass ich es nicht mehr über mich bringe. Vielleicht könnte ich Ihr Freund sein. Sie haben mir Ihre Hilfe angeboten, und darum bin ich jetzt hier. Was soll ich also tun?«

Man fühlt sich bloßgestellt, man sieht sich so, wie man ist? Ja, das ist nicht so einfach! Man hat also das sorgsam verschlossene Fach endlich einen Spalt geöffnet, in das man alles hineinstopfte, was man aus den Augen haben wollte? Wünscht man es nun doch einmal ganz aufzumachen, um sich anzuschauen, wie es darinnen aussieht?

»Ich möchte schon, aber wie soll ich das anstellen?«

Möchte man das wirklich und allen Ernstes, oder spielt man nur mit diesem Gedanken? Wenn es einmal geöffnet ist, und sei es nur einen schmalen Spalt breit, dann lässt es sich nie mehr schließen. Die Tür bleibt dann Tag und Nacht offen, und der Inhalt quillt heraus. Da mag man versuchen wegzulaufen, wie man es so gern tut, aber es hilft nichts, der Plunder ist immer da und wartet und geht einem nicht mehr aus den Augen. Will man es also wirklich wagen, das Fach zu öffnen?