Sicherheit – Teil 1
Der kleine Bach floss friedlich neben dem gewundenen Pfad, der am Rand der Reisfelder entlang führte, sein stilles Wasser war von Ufer zu Ufer mit Lotosblumen bedeckt. Ihre dunkelvioletten Blüten hatten goldene Herzen und schienen über dem Wasser zu schweben. Ihr Duft umgab sie wie ein kostbarer Mantel, sie boten ein Bild von unfassbarer Schönheit. Der Himmel war bedeckt, es begann zu regnen, und zwischen den Wolken grollte der Donner. Das Gewitter war noch ziemlich weit entfernt, aber es kam herangezogen und näherte sich dem Baum, unter dem wir Schutz gesucht hatten. Jetzt fiel der Regen schon in Strömen. Auf den Lotosblättern sammelten sich dicke Tropfen, wenn sie zu schwer wurden, rollten sie über den Rand ins Wasser, und das Spiel begann von neuem. Bald war das Gewitter gerade über uns, das weidende Vieh war außer sich vor Angst und riss verzweifelt an den Stricken, mit denen es angepflockt war. Ein schwarzes, tropfnasses Kälbchen brüllte jämmerlich und bebend vor Angst, bis es ihm gelang, sich loszureißen, dann rannte es in großen Sätzen auf eine nahe Hütte zu. Die Lotosblumen schlossen sich in der sinkenden Dämmerung und bargen ihre Herzen vor der Finsternis. Man hätte ihre violetten Blütenblätter zerreißen müssen, um jetzt noch zu dem Gold ihrer Herzen vorzudringen. So blieben sie nun dicht geschlossen, bis morgen die Sonne wieder am Himmel stand, und waren selbst im Schlaf noch wunderschön. Das Gewitter entfernte sich nach der Stadt zu, die Dunkelheit war hereingebrochen, man hörte nichts als das leise Gemurmel des Baches.
Der Pfad führte am Dorf vorüber zu der Straße, die uns zurück in die lärmende Stadt führte.
Er war ein wohlgenährter junger Mann in den zwanziger Jahren, hatte sein College hinter sich und war auch schon ein wenig herumgekommen. Man sah ihm an, dass er mit den Nerven herunter war, und in seinen Augen wohnte die Angst. Es war schon spät, aber er wollte sich unbedingt aussprechen, er brauchte einen Menschen, der ihm seine Zustände enträtseln half. Er eröffnete sich auf eine einfache und bescheidene Art. Auch sein Problem war einfach, nur nicht für ihn selbst, denn er tappte offenbar völlig im Dunkeln.
Wir erlauschen und ergründen ja nicht etwa das, was ist, sondern ziehen es vor, dem anderen unsere Ideen und Ansichten zu unterschieben, um ihn auf diese Art als Vorspann für unser eigenes Denken zu benutzen. Unsere eigenen Gedanken und Urteile sind uns ja so viel wichtiger, als zu entdecken, was ist. Das, was ist, die Wirklichkeit, ist immer einfach, kompliziert und schwierig sind nur wir selbst. Wir machen das Einfache, das, was ist, kompliziert und finden uns nicht mehr darin zurecht. Dann hören wir nur noch auf den wachsenden Lärm unserer eigenen Verwirrung. Um wirklich zu lauschen, müssen wir frei sein. Nicht als ob es dabei keine Ablenkung geben dürfte – das Denken allein ist ja schon eine Ablenkung. Wir müssen aber die Freiheit haben, still zu sein, nur dann sind wir nämlich imstande, zu hören.
Wenn er eben einschlafen wolle, sagte er, überfalle ihn die nackte Angst mit solcher Gewalt, dass er entsetzt wieder hochfahre. Die Wände seines Zimmers wichen zurück und sänken in sich zusammen, die Decke sei plötzlich nicht mehr da, und der Boden unter ihm löse sich in nichts auf. Dabei schüttle ihn solches Entsetzen, dass ihm der kalte Schweiß aus allen Poren dringe. So sei es nun schon seit vielen Jahren.
Wovor haben Sie denn Angst?
»Das weiß ich eben nicht. Wenn mich die Angst aus dem Schlaf reißt, dann gehe ich immer zu meiner Schwester oder zu meinen Eltern und spreche eine Weile mit ihnen, um mich wieder zu beruhigen. Meistens schlafe ich danach ohne weiteres ein. Meine Angehörigen verstehen mich ja, aber schließlich bin ich jetzt schon über Zwanzig und komme mir bei all dem recht töricht vor.«
Fürchten Sie sich etwa vor der Zukunft?
»Ja, ein bisschen. Wir haben zwar Geld, aber ich mache mir doch Sorgen, wie alles werden soll.«
Warum denn?
»Ich möchte heiraten und meiner künftigen Frau ein angenehmes Leben bieten.«
Das ist doch kein Grund, sich Sorgen zu machen. Sie sind ein junger Mann, Sie können arbeiten und werden allemal soviel verdienen, wie Sie beide zu einem anständigen Leben brauchen. Warum machen Sie sich also ausgerechnet darüber Gedanken? Haben Sie etwa Angst vor einem sozialen Abstieg?
»Ja, unter anderem auch. Wir haben einen Wagen, sind nicht unvermögend und stehen in gutem Ansehen. Es wäre natürlich schlimm, das alles verlieren zu müssen, und diese Vorstellung mag mit schuld an meinen Angstzuständen sein. Aber sie ist es nicht allein, die eigentliche und letzte Ursache dieser Zustände ist wohl meine Furcht vor dem Nicht-Sein. Wenn ich von meiner Angst geweckt werde, dann glaube ich genau zu wissen, dass ich verloren bin, dann komme ich mir vor wie eine Null und habe ein Gefühl, als ob ich im nächsten Augenblick zu nichts zerfallen müsse.«