Zweckfrei handeln – Teil 1

Er gehörte einer ganzen Anzahl verschieden gerichteter Bewegungen an und nahm an der Arbeit aller durch Schreiben, Reden, Geld-Sammeln und Organisieren tätigen Anteil. Da man bei solchen Unternehmungen zähe und tüchtige Kampfnaturen wie ihn zu schätzen wusste, wurde er überall herangezogen und reiste ständig mit irgendwelchen Aufträgen landauf, landab. Seine Tätigkeit als politischer Agitator hatte ihn für einige Zeit ins Gefängnis gebracht, dann hatte er sich den Führern der Nation angeschlossen und war nun auf dem besten Wege, selbst in die Reihen der politischen Prominenz aufzurücken. Er trat begeistert für die sofortige Ausführung gewaltiger Pläne ein und war wie alle diese Angehörigen der gebildeten Klasse auch in philosophischen Fragen recht gut bewandert. Ein kontemplatives Leben, meinte er, sei nicht sein Fall, er sei ein ausgesprochener Tatmensch. Dazu zitierte er eine Sanskritstelle, die dem Gesprächspartner in kurzen Worten eine ganze Philosophie der Tat nahe bringen sollte. Allein die Art, wie er von sich sagte, er sei ein Tatmensch, ließ keinen Zweifel darüber, dass er sich stolz zu den Gestaltern menschlichen Lebens rechnete – vielleicht nicht für seine Person, aber doch mindestens als Angehöriger ›seines‹ Menschentyps. Er war also eingereiht, er gehörte einer bestimmten Menschengattung an – und war damit jeder Möglichkeit beraubt, zur Einsicht in sein wahres Wesen zu gelangen.

Abgestempelt zu sein, ein Etikett zu tragen, hat offenbar etwas Beruhigendes. Wir nehmen es gern zur Kenntnis, dass wir zu dieser oder jener Kategorie gezählt werde, weil uns damit das Leben hinreichend erklärt zu sein scheint. Wir beten Worte und Etiketten an, es scheint, als brächten wir es nie dazu, uns über das Symbol zu erheben, um einmal seinen wirklichen Wert zu ermessen. Wir bezeichnen uns als dies oder das, fühlen uns dadurch gegen weitere Störungen gesichert und setzen uns zur Ruhe. Es ist der Fluch aller Ideologien und organisierten Überzeugungen, dass sie uns soviel inneres Behagen und tödliche Zufriedenheit zu bieten haben. Sie wiegen uns in Schlaf, in diesem Schlaf träumen wir, und aus dem Traum wird unversehens die Tat. Wie leicht lassen wir uns von der Wirklichkeit ablenken! Die meisten von uns wollen abgelenkt sein, weil sie von unaufhörlichen Konflikten erschöpft sind, daher wird ihnen die Ablenkung zum Bedürfnis, sie ist ihnen wichtiger als das, was ist. Mit Ablenkungen kann man spielen, nicht aber mit dem, was ist. Ablenkungen sind Illusionen, die eine perverse Art Lust auslösen.

Aber was ist denn eigentlich ›Handeln‹? Was geht dabei vor und warum handeln wir? Bloße Tätigkeit ist natürlich kein Handeln, beschäftigt sein wollen wir also nicht darunter verstehen, nicht wahr? Die Hausfrau ist beschäftigt, was sie tut, ist doch auch Ihrer Meinung nach kein Handeln.

»Nein, gewiss nicht. Sie hat ja nur mit den kleinen Angelegenheiten des Alltags zu tun. Unter einem Handelnden, einem Mann der Tat, verstehen wir doch einen Menschen, der sich größeren Problemen widmet und eine entsprechende Verantwortung trägt. Man kann daher wohl nur die Beschäftigung mit Aufgaben von weittragender oder tiefer Bedeutung mit Fug als Handeln bezeichnen, wobei es keinen Unterschied macht, ob sie politischer oder geistiger Natur sind. Beides verlangt Können, Leistung, organisierte Arbeit und hartnäckige Zielstrebigkeit. Wer sich solchen Aufgaben widmet, ist gewiss kein kontemplativer Eremit, sondern ein echter Tatmensch.«

Handeln in Ihrem Sinne wäre also die Beschäftigung mit Aufgaben von weittragender Bedeutung. Was verstehen Sie unter solchen Aufgaben? Sind sie etwas aus dem Alltagsleben Herausgehobenes, von ihm Verschiedenes? Dann wäre ja auch Handeln etwas Besonderes, von der Ganzheit des Lebens Abgelöstes, nicht wahr? Lässt sich aber echtes Handeln, das man mit ›Wirken‹ bezeichnen kann, denken, ohne dass das Dasein mit allen seinen Schichten als ein Ganzes begriffen wird? Heißt Handeln nicht etwa nur stören und damit zerstören, solange wir nicht der unteilbaren Ganzheit allen Lebens innewerden und sie dadurch als unumstößliche Wahrheit begreifen? Auch das Menschenleben ist eine Einheit, und alles wirkliche Handeln, das Wirken ist, muss dieser Einheit wie eine Blüte und Frucht entspringen.

»Wenn wir darauf warten wollten, wären wir die längste Zeit müßig, und die wichtigsten Aufgaben würden ins Unendliche hinausgeschoben. Nein, das geht nicht, Zeit und Umstände drängen zum Handeln, wir können nicht erst lange darüber philosophieren.«

Wir philosophieren nicht, wir stellen uns nur die Frage, ob Ihr sogenanntes Handeln nicht unermesslichen Schaden stiftet. Jede Reform schreit sofort nach weiteren Reformen. Bruchstückhaftes Handeln bringt keine Wirkung hervor, es fördert nur den Zerfall. Wenn Sie ein wenig Geduld haben, werden wir jetzt und nicht irgendwann in der Zukunft jenes umfassende und der Ganzheit entspringende Handeln entdecken, das allein wirklich und daher Wirkung ist.