Missbrauchter Eifer – Teil 1

Es war früh am Morgen, eine muntere Schar von Vögeln vollführte einen Höllenspektakel. Die Sonne berührte eben die Baumwipfel, die Schatten waren noch dunkel und ohne das Spiel durchscheinender Lichter. Vor kurzem musste eine Schlange über die Wiese gekrochen sein, man sah noch die lange schmale Spur, die sie durch den Tau gezogen hatte. Die Morgenröte war noch nicht ganz verblasst, am Himmel ballten sich mächtige, weiße Wolken. Plötzlich riss das Zwitschern und Schnattern der Vögel ab, um alsbald mit warnenden, scheltenden Schreien um so lauter wieder einzusetzen: eine Katze war auf der Szene erschienen und hatte sich unter einen Busch gelegt. Ein mächtiger Habicht hatte einen schwarz-weißen Vogel in den Krallen und zerriss ihn mit seinem scharfen, gebogenen Schnabel. Er hielt seine Beute mit eifersüchtiger Gier in den Fängen und nahm sofort eine drohende Haltung ein, als ihm ein paar Krähen zu nahe kamen. Seine Augen waren gelb mit schmalen schwarzen Schlitzen, sie verfolgten wachsam und ohne zu zwinkern, was die flatternden Krähen und wir wohl im Schilde führten.

»Warum soll ich mich nicht ausnützen lassen? Ich bin nicht böse darüber, dass man mich zum Werkzeug dieser Bewegung macht, da ich ihr größte Bedeutung beimesse und am liebsten ganz darin aufgehen möchte. Es kommt mir auch nicht darauf an, was man mit mir macht. Ich bin ja nur ein kleines Licht und bedeute nicht viel in dieser Welt, darum will ich wenigstens denen helfen, die mehr leisten als ich. Was mir jetzt zu schaffen macht, ist eine persönliche Bindung, die mich von meiner Arbeit ablenkt. Über diese Bindung möchte ich gerne Klarheit haben.«

Warum wollen Sie sich ausnutzen lassen? Sind Sie nicht ebensoviel wert wie der einzelne oder die Gruppe, von denen Sie ausgenutzt werden?

»Um unserer Sache willen, die ich für gut und überaus wertvoll halte, lasse ich mich gerne ausnutzen. Die Menschen, zu deren Mitarbeitern ich mich zählen darf, stellen eine hochgesinnte geistige Elite dar. Auf jeden Fall wissen sie besser als ich, was uns nottut.«

Was veranlasst Sie, zu glauben, dass diese Leute besser imstande seien, Gutes zu tun, als Sie selbst? Woher wissen Sie, dass ihre Führer – um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen – eine ›geistige Elite‹ sind und einen weiteren Blick besitzen als Sie selbst? Als Sie Ihre Dienste anboten, mussten Sie sich doch darüber Gedanken machen oder fühlten Sie sich einfach angezogen, ›aufgerufen‹, wie man so sagt, so dass Sie sich ohne weitere Überlegung zur Verfügung stellten?

»Es geht hier um eine wunderbare Aufgabe, ich bot meine Dienste an, weil ich das Gefühl hatte, dass ich gebraucht werde.«

Sie sind genau wie jene Leute, die in das Heer eintreten, um für eine ›große Sache‹ zu töten oder sich töten zu lassen. Die wissen auch nicht, was sie tun. Wissen Sie es vielleicht besser? Wer sagt Ihnen zum Beispiel, dass es bei Ihrer geliebten Arbeit wirklich um ›geistige‹ Dinge geht?

»Ja, da haben Sie schon recht. Ich war während des letzten Krieges selbst vier Jahre Soldat – aus Vaterlandsliebe, wie so viele andere auch. Soweit ich mich entsinnen kann, habe ich mir damals überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, was es hieß, Menschen töten zu müssen. Es gehörte sich eben, dass man mitmachte, darum ging ich mit. Aber die Leute, deren Mitarbeiter ich jetzt bin, haben bestimmt nur geistige Interessen.«

Geistige Interessen? Wissen Sie, was das heißt? Ich bin mir jedenfalls darüber im klaren, dass Ehrgeiz kein geistiges Interesse ist. Hand aufs Herz, sind Ihre Leute etwa nicht ehrgeizig?

»Leider muss ich Ihnen das zugeben. Bis jetzt war es mir noch gar nicht so aufgefallen, mein ganzes Bestreben war, einer wirklich guten und anständigen Sache zu dienen.«

Ist es so anständig, nur von Ehrgeiz getrieben zu sein und diese Tatsache durch einen Schwall hochtrabender Worte von Meistern, Humanität, Kunst und allgemeiner Brüderlichkeit zu vertuschen? Ist es eine ›geistige‹ Haltung, das Ich zu einem Mittelpunkt zu machen, um den alle Welt zu kreisen hat, der nächste Nachbar so gut wie der Anhänger jenseits des großen Wassers? Sie aber arbeiten für jenen angeblich so hochgesinnten Kreis und ahnen nicht, was da wirklich gespielt wird, es ist Ihnen sogar eine Ehre, sich von diesen Leuten ausnutzen zu lassen.

»Ich komme Ihnen gewiss recht kindisch und unreif vor, nicht wahr? Aber ich möchte mich in meiner Arbeit nicht gerne irremachen lassen. Leider will mir das nicht gelingen. Die Bindung, die ich vorhin erwähnte, macht mir schon genug zu schaffen, und Sie haben mich jetzt noch vollends durcheinandergebracht.«

Ist es nicht gut, dass Sie ein wenig ›durcheinandergebracht‹ werden? Meist fangen wir nämlich erst an, die Augen aufzumachen und um uns zu schauen, wenn wir aus unserer Ruhe aufgestöbert, wachgerüttelt werden. Dass wir ausgenutzt und ausgebeutet werden, verdanken wir nur unserer eigenen Torheit, an die die ›Wissenden‹, die Geriebenen im Namen des Vaterlandes, im Namen Gottes oder einer wunderbaren Ideologie, nicht vergebens appellieren. Wie könnte aber Torheit, auch wenn sie im Dienste der Schlauen steht, je Gutes zustandebringen? Wenn die Schlauen die Dummheit anderer ausnutzen, dann sind sie selbst dumm, weil sie nicht wissen, wohin sie ihr Tun führt. Alles Handeln der Dummen, derer, die keiner Kritik ihres eigenen Denkens fähig sind, hat nämlich notwendig Konflikte, Verwirrung und Elend zur Folge.

Ihr Problem brauchte Sie doch nicht unbedingt von Ihrer Arbeit abzulenken. Da es das aber tut, müssen wir uns jedenfalls fragen: warum?

»Es macht mich an der Arbeit irre, der ich mich verschrieben habe.«

Sie haben sich dieser Arbeit eben doch nicht ganz verschrieben, wenn es ein Problem gibt, das Sie daran irremacht. Ihre Entscheidung für diese Sache mag unüberlegt gewesen sein, dann ist das Problem vielleicht ein Fingerzeig, eine Warnung, sich nicht weiter in Ihr augenblickliches Tun zu verstricken.