Streben nach Glück – Teil 1
Wir schwebten hoch über dem grünen Meer, das Dröhnen der wirbelnden Propeller und der brüllende Lärm der Auspuffgase erschwerten jedes Gespräch. Unter den Passagieren befand sich überdies eine Gruppe von Studenten, die zu einem Sportfest nach der Insel flogen, und einer von diesen jungen Leuten hatte ein Banjo bei sich, auf dem er sich Stunde um Stunde zu seinen Liedern begleitete. Bald hatte er die anderen so weit, dass sie in seinen Gesang einfielen, und fortan sangen sie alle im Chor. Der Junge mit dem Banjo hatte eine hübsche Stimme, sein Repertoire war ganz amerikanisch, es bestand aus sentimentalen Negersongs, Cowboyliedern und Jazz. Sie machten ihre Sache ausgezeichnet, es klang, als hörte man Grammophonmusik. In unseren Tagen nahm sich dieses Völkchen wunderlich aus, insofern es ganz und gar in der Gegenwart aufging. Keiner der jungen Menschen hatte etwas anderes im Sinn, als das Vergnügen des Augenblicks, das Morgen mit allen seinen Sorgen und Schwierigkeiten: Stellung, Heirat, Alter und Tod, dieses Morgen lag ja noch so fern und kam auf alle Fälle früh genug. Hier oben, hoch über den Wolken, hatten sie nichts anderes im Sinn, als ihre amerikanischen Songs und ihre Illustrierten. Sie hatten kein Auge für die Blitze zwischen den dunklen Wolken, keinen Blick für den edlen Schwung der gegen die See anzüngelnden Küste oder für das ferne Dorf, das hell im Sonnenschein ruhte.
Die Insel war nun fast unter uns, sie grüßte blank und grün, vom Regen frisch gewaschen zu uns herauf. Wie sauber und aufgeräumt die Landschaft wirkte, wenn man aus großer Höhe auf sie hinabsah! Die höchste Erhebung war wie plattgedrückt, und die weißen Wogen schienen in ihrer Bewegung erstarrt. Ein braunes Fischerboot lenzte unter Segeln vor dem Sturm, es war bald in Sicherheit, denn der Hafen war schon in Sicht. Der Fluss strebte gewundenen Laufs der Küste zu, und die Erde leuchtete golden braun herauf. Aus dieser Höhe sah man zugleich, was zu beiden Seiten des Flusses geschah, Vergangenheit und Zukunft schmolzen ineinander, das Künftige war nicht mehr verborgen, obwohl es um die Ecke lag. In dieser Höhe gab es weder Gewesenes noch Kommendes, in der Ewigkeit des gekrümmten Raums fällt ja die Zeit des Säens mit der Zeit des Erntens zusammen.
Der Mann auf dem Nebensitz begann von den Schwierigkeiten des Daseins zu sprechen. Er beklagte sich heftig über seine Tätigkeit, das ständige Unterwegssein, die Unvernunft seiner Familie und die Ausweglosigkeit der modernen Politik. Im Augenblick war er wieder nach einem fernen Land unterwegs und hatte sich schweren Herzens von seinem Zuhause getrennt. Je länger er sprach, desto ernster wurde er, desto deutlicher offenbarte sich seine Besorgnis über die herrschenden Zustände im allgemeinen und über ihre Folgen für ihn selbst und seine Familie im besonderen.
»Wie gern möchte ich diesem ganzen Trubel den Rücken kehren! Mein höchster Wunsch wäre, irgendein ruhiges Plätzchen in der Welt zu finden, wo man etwas arbeiten und im übrigen glücklich sein könnte. Ich zweifle ernstlich, ob ich je in meinem Leben richtig glücklich war – ich weiß ja kaum, was das bedeutet. Wir leben, zeugen Kinder, arbeiten und sterben wie die Tiere. Was interessiert mich denn noch? Höchstens das Geldverdienen, und auch das hängt mir allmählich zum Hals heraus. Ich verstehe etwas von meinem Geschäft und verdiene darum ganz anständig, dennoch wird mir immer rätselhafter, was dieses ganze Treiben eigentlich soll. Glücklich sein wäre mein einziger Wunsch, wie kann ich erreichen, dass er sich erfüllt? Wissen Sie mir dazu einen Rat?«
Das ist eine recht verwickelte Angelegenheit, der man nicht so leicht auf den Grund kommt. Außerdem scheint mir das Flugzeug hier nicht der rechte Ort für ein so ernstes Gespräch zu sein.
»Leider habe ich nachher keine Zeit. Wenn wir gelandet sind, geht es für mich sofort weiter. Vielleicht schien Ihnen nicht alles so ernst, was ich sagte, aber glauben Sie mir, ich habe wirklich ernste Seiten, das Leiden ist nur, dass sie anscheinend immer Bruchstücke meines Wesens bleiben sollen. Im Herzen bin ich jedenfalls ein durchaus ernster Mensch. Mein Vater und meine älteren Verwandten waren als gediegene, seriöse Männer bekannt, aber die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben es einem ja nicht mehr, ganz charakterfest und grundsatztreu zu bleiben. Sie zwingen mich dazu, andere Wege zu gehen, aber ich möchte nur zu gern wieder zum Alten zurück und alle diese Torheit vergessen dürfen. Vielleicht murre ich nur deshalb über meine Lage, weil ich zu schwach bin, sie wirklich zu meistern, aber wie dem auch sei, ich möchte endlich einmal echtes Glück erfahren.«
Reize sind etwas anderes als Glück, jeder Reiz sucht in immer weiteren Zirkeln nach neuen Reizen. Reize sind eine unerschöpfliche Quelle der Lust, sie können sich noch und noch vermehren, aber jeder befriedigte Reiz hinterlässt uns von neuem unbefriedigt. Was nachbleibt, ist immer das Begehren nach mehr, und dieses Begehren nimmt kein Ende. Reiz und Ungenügen gehören untrennbar zusammen, das Begehren nach mehr fesselt sie aneinander. Reiz ist ein Begehren nach mehr oder ein Begehren nach weniger. Im Augenblick der Befriedigung des Reizes meldet sich das Verlangen nach Wiederholung. Dieses Verlangen ist stets in die Zukunft gerichtet, es ist die ewige Unzufriedenheit mit dem, was war, und die Ursache des Konflikts zwischen dem, was war, und dem, was sein wird. Jeder Reiz bedeutet Unzufriedenheit. Man mag den Reiz in religiöse Gewänder kleiden, er bleibt darum doch, was er ist, eine Ausgeburt des Denkens, eine Quelle von Zwiespalt und Angst. Körperliche Reize schreien stets nach mehr, wird ihre Befriedigung durchkreuzt, so gibt es Zorn, Eifersucht und Hass. Hassen ist lustvoll, und Neid birgt den Reiz erlittenen Unrechts. Sogar die Feindschaft, die aus der Vereitelung eines Reizbegehrens erwächst, kann zu einer Quelle der Genugtuung werden.