Missbrauchter Eifer – Teil 2
»Aber ich liebe doch meine Tätigkeit.«
Eben das ist vielleicht die Wurzel des Übels. Wir möchten uns ganz an irgendeine Tätigkeit, an eine Aufgabe verlieren, und je mehr uns diese Aufgabe befriedigt, desto leidenschaftlicher halten wir daran fest. Das Verlangen, uns in unserem Tun bestätigt zu sehen, uns darin zu genießen, macht uns blind und dumm, und dieser Selbstgenuss ist auf allen Ebenen der gleiche, es gibt darin keine Unterschiede des Niveaus. Wir mögen diese genießerische Freude an unserem Tun bewusst oder unbewusst durch noch so edle Worte tarnen, das bloße Verlangen danach macht uns unweigerlich stumpf und gefühllos. Wenn uns irgendeine erwählte Tätigkeit Befriedigung, inneres Behagen und das Gefühl seelischer Geborgenheit schenkt, ganz gleich, ob das wirklich oder nur in unserer Einbildung der Fall ist, dann lassen wir uns nicht gern aus diesem lohnenden Tun aufstören und an ihm irremachen. Und doch werden wir immer wieder aufgestört – es sei denn, wir wären tot oder durchschauten das wahre Wesen unserer Konflikte und Kämpfe.
Die meisten Menschen möchten am liebsten tot und gefühllos sein, da ihnen das Leben allzu schmerzlich erscheint, zum mindesten umgeben sie sich gegen diesen Schmerz mit einer Mauer von Widerstand, einer Mauer von Bindungen und Abhängigkeiten. Aber diese scheinbar schützenden Mauern werden nur zur Ursache weiterer Konflikte und vermehrten Elends. Lassen wir also alle Bindungen beiseite und suchen wir das Problem selbst zu durchschauen, das ist viel wichtiger, als nur nach einem Ausweg zu suchen. Vielleicht enthüllt uns gerade Ihr Problem das Echte, die Wirklichkeit, womöglich entpuppt sich dabei Ihre ganze Tätigkeit nur als billige Ausflucht, der kaum eine Bedeutung zukommt.
»Was Sie da sagen, bringt mich ganz aus der Fassung. Ich muss mir das alles gründlich durch den Kopf gehen lassen.«
Unter den Bäumen war es inzwischen zu heiß geworden, darum brachen wir unser Gespräch ab und gingen.
Wie kann ein oberflächlicher, seichter Verstand je Gutes wirken? Ist nicht das rastlose Streben, ›Gutes zu tun‹, geradezu das Merkmal eines seichten Verstandes? Ist nicht alles Denken seicht und oberflächlich, mag es noch so klug, verschlagen oder gelehrt sein? Seichtes Denken kann niemals unergründlich werden, denn ›Werden‹ ist ja gerade der Weg, den alles Seichte einschlägt. ›Werden‹ ist die Jagd nach selbstgeschaffenen Bildern und Vorstellungen. Solche Vorstellungen mögen mit Worten den Himmel stürmen, sie mögen in weltweiten Visionen, Systemen oder Planungen ihren Niederschlag finden, dennoch sind und bleiben sie Ausgeburten des Seichten, des Oberflächlichen. Wir mögen tun, was wir wollen, das Seichte wird niemals tief; was dem Seichten entspringt, jede Regung des Denkens auf allen seinen Ebenen, trägt immer den Stempel des Seichten.
Dem seichten Verstand fällt es besonders schwer, einzusehen, dass sein ganzes Tun und Treiben eitel und sinnlos ist. Gerade der seichte Verstand ist nämlich rastlos tätig, und eben diese Rastlosigkeit verhindert, dass sich an seinem Zustand etwas ändert. In seinem Tätigsein findet er nämlich jene Bedingtheit, Abhängigkeit und Bindung, deren er bedarf. Das Suchen nach einer Bindung ist nichts anderes, als das Verlangen, den Konflikten und inneren Kämpfen des Lebens zu entgehen. In diesem Verlangen bauen wir Mauern gegen alle Regungen des Lebens, gegen alle Winde aus dem Unbekannten, und innerhalb dieser schützenden Umwallung aus Grundsätzen, Überzeugungen, Erklärungen und Ideologien stagniert unser ganzes Denken. Nur das Seichte stagniert und stirbt.
Schon das Verlangen in der Bindung, der Abhängigkeit Schutz zu suchen, bringt neue Gegensätze und Probleme, denn Abhängigkeit von allen möglichen ›Werten‹ und die dadurch geschaffene Bedingtheit wirken trennend. Was aber getrennt und abgesondert ist, das kann nicht leben. Getrenntes, Losgelöstes, kann sich mit anderem Getrennten zusammentun, aber aus einer solchen Vereinigung wird keine Ganzheit. Die so Getrennten lieben es zwar, sich zu sammeln und zusammenzuschließen, sie möchten eins werden – und bleiben dabei doch abgesondert, isoliert. Alle Abhängigkeit, alle Bedingtheit wirkt zerstörend und fördert den Zerfall der Gesellschaft; aber der seichte Verstand kann diese Wahrheit nicht erkennen, weil er ständig auf der Suche nach der Wahrheit ist. Eben dieses tätige Suchen macht ihn nämlich unfähig, der Wahrheit innezuwerden. Wahrheit ist Wirken, sie hat mit der zappelnden Tätigkeit des Seichten, des Suchers, des Ehrgeizigen nichts gemein.
Wahrheit ist das Gute und das Schöne, nicht aber das Tun des Tänzers, des Planers und des Wortespinners. Die Wahrheit allein könnte den Seichten von seiner Seichtheit befreien, nicht aber sein ausgeklügeltes System, die Freiheit zu erarbeiten. Das Seichte, der Verstand, kann sich niemals selbst befreien, er kann sich nur von einer Abhängigkeit in die andere begeben, weil er sich von der jeweils nächsten ein Mehr an Freiheit erwartet. Dieses ›Mehr‹ ist aber niemals Freiheit, es ist gleichfalls nur ein bedingter, abhängiger Zustand, die bloße Ausweitung des ›Weniger‹. Der Werdedrang des Menschen, der der Buddha oder ein Manager werden möchte, ist die typische Tätigkeit des Seichten. Die Seichten haben nämlich immer Angst vor dem, was sie sind, aber das, was sie sind, ist die Wahrheit. Wahrheit erblüht aus der stillen Beobachtung dessen, was ist, Wahrheit allein vermag es auch, das, was ist, zu verwandeln.