Stille und Wille – Teil 2

»Kann man denn ohne die Kraft des Willens irgendeinem Konflikt ein Ende machen?«

Welchen Sinn hat es, einen Konflikt einfach zu unterdrücken, zu erhöhen oder durch irgendeine Ablenkung zu überkleistern, wenn wir uns nicht die Mühe machen, Einsicht in das Wesen des Konflikts als solchen und seine Entstehung zu gewinnen? Sie können eine Krankheit unterdrücken, aber die Krankheit tritt dann über kurz oder lang in anderer Form von neuem in Erscheinung. Der Wille selbst, das ewige Ringen des Ichs, ist die eigentliche Wurzel des Konflikts. Wille ist zweckhaftes, zielstrebiges Begehren. Wenn wir uns darauf beschränken, das Begehren zu beherrschen, ohne uns über sein Wesen und seine Ursachen Gedanken zu machen, dann laufen wir nur Gefahr, dass es von neuem auflodert und Leid bringt. Alles Beherrschen und Überwachen ist nichts als Ausflucht. Sie mögen sich selbst oder ein Problem unter Kontrolle halten, aber Sie lernen dabei weder sich noch das Problem begreifen. Begreifen, innewerden, ist aber viel wichtiger als irgendein Ziel zu erreichen.

Das Tun des Willens ist verderblich, denn alles zielgerichtete, zweckbestimmte Handeln führt zur Abkapselung des Ichs, zu Trennung und Absonderung. Es gelingt Ihnen nicht, den Konflikt, das Begehren zum Schweigen zu bringen, denn der sich darum bemüht, ist selbst das Ergebnis des Konflikts, des Begehrens. Der Denker samt seinen Gedanken ist nämlich auch nur eine Auswirkung des Begehrens. Wenn wir nicht innewerden, wie es um das Begehren bestellt ist, dass es vor allem nichts anderes ist als das Ich, an welchen Platz, ob hoch oder niedrig, es sich stellen mag, dann kommt unser Denken nie aus dem Teufelskreis des Irrtums heraus. Über den Willen, über das Begehren führt kein Weg zum Erhabenen. Das Erhabene kann sich nur entfalten, wenn der Urheber alles Strebens und Bemühens aufhört zu sein. Der Wille zeugt allen Konflikt, alles Begehren, zu ›werden‹ oder dem Erhabenen den Weg zu bereiten. Wenn das Denken, das sich aus lauter Begehren zusammensetzt, ein Ende nimmt, ohne dass wir uns darum bemühen, dann breitet sich eine Stille in uns aus, die nicht gewollt und daher kein Ziel ist. Allein in dieser Stille kann sich das, was ist, die Wirklichkeit, entfalten.

»Gehört zu solcher Stille nicht in erster Linie Einfachheit?«

Was verstehen wir unter Einfachheit? Sich der Einfachheit verschreiben oder einfach sein?

»Man kann doch nicht einfach sein, ohne dass man sich das Ideal äußerer und innerer Einfachheit ganz zu eigen macht.«

Offenbar geht es Ihnen darum, einfach zu werden, nicht wahr? Noch sind Sie kompliziert, aber Sie werden einfach, wenn Sie sich der Einfachheit verschreiben und sich etwa den Bauern oder den Mönch zum Vorbild wählen. Ich bin dies und werde jenes. Führt aber solches Streben wirklich zu Einfachheit und nicht nur zu ihrer Idee? Wenn ich mir das Ideal der Einfachheit noch so gründlich zu eigen mache, so bin ich darum noch lange nicht einfach. Bin ich etwa einfach, weil ich fortgesetzt behaupte, es zu sein, oder weil ich mich selbst für einfach halte? Einfachheit liegt im Erkennen dessen, was ist, nicht in dem Versuch, das, was ist, in Einfachheit zu verwandeln. Können Sie das, was ist, jemals in etwas verwandeln, das es nicht ist? Kann aus Gier, ob nach Gott, nach Geld oder nach Alkohol, je etwas werden, das nicht Gier ist? Alle Werte, denen wir uns verschreiben, entstammen der eigenen Vorstellung, ob sie das ›Erhabene‹, der Staat oder die Familie heißen. Alle Begeisterung, alle Hingabe, auf welcher Ebene auch immer, ist stets ein Werk des Ichs.

Einfachheit ist das Innewerden dessen, was ist, wie kompliziert es auch erscheinen mag. Das, was ist, wäre nicht schwer zu begreifen, was jedoch das Begreifen erschwert, ist die Ablenkung durch Vergleich, durch Verwerfen, durch positive oder negative Vorurteile und so weiter. Diese Einflüsse erst machen alles verwickelt und schwierig. Was ist, ist nie an sich kompliziert, es ist immer einfach. Was Sie sind, ist ebenfalls einfach zu verstehen, es wird erst durch Ihre kritische Betrachtungsweise kompliziert, darum müssen wir uns mit der Betrachtungsweise befassen, die so leicht zu Schwierigkeiten führt. Wenn Sie sich nicht verurteilen, dann sind Sie eben, wie Sie sind, und können wirken. Der Akt des Verurteilens führt sogleich zu Komplikationen, das Wirken dessen, was ist, ist einfach.

Für die Stille ist nichts anderes wesentlich als die Stille selbst, sie ist ihr eigener Beginn und ihr eigenes Ende. Sie hat keine Vorbedingung, denn sie ist. Es gibt keine Mittel, die zur Stille hinführen oder verhelfen könnten. Nur wenn die Stille etwas wäre, das erreicht oder gewonnen werden könnte, hätten die Mittel dazu Bedeutung. Könnte man sie erkaufen, dann wäre die Münze dazu wichtig, aber die Münze und was man dafür kaufen kann, sind nicht die Stille. Mittel sind geräuschvoll, gewaltsam oder in listiger Form auf Gewinn aus, und der Zweck gleicht ihnen dann aufs Haar, denn alle Zwecke sind in den Mitteln vorweggenommen. Ist der Anfang aber Schweigen, so ist auch das Ende Schweigen. Es gibt kein Mittel, zum Schweigen zu gelangen, das Schweigen stellt sich von selbst ein, wenn der Lärm ein Ende hat. Lärm lässt sich aber nicht durch weiteren Lärm beenden, den wir durch Streben, Zucht, Kasteiungen und Anspannung des Willens erzeugen. Werden Sie dieser Wahrheit inne, und die Stille ist da.