Ehrgeiz – Teil 2

Darf ich Sie fragen, warum Sie sich um die Weltkrise solche Sorgen machen, wie Sie es augenscheinlich tun?

»Ach – das könnte ich nicht einmal sagen. Ich sehe überall so viel Leid und Elend, da sagt mir eben mein Gefühl, dass unbedingt etwas dagegen unternommen werden müsste.«

Machen Sie sich denn wirklich Sorgen um diese Zustände, oder treibt Sie etwa nur Ihr Ehrgeiz, etwas Besonderes zu leisten?

»Wenn Sie mich so geradeheraus fragen – nun ja, vielleicht bin ich wirklich ehrgeizig. Ich möchte gern etwas tun, das mir Erfolg einträgt.«

So wenige Menschen sind in ihrem Denken ehrlich gegen sich selbst. Wir streben alle nach Erfolg, entweder unmittelbar für unsere eigene Person oder für das Ideal, die Überzeugung, die wir zu der unsrigen gemacht haben. Das Ideal ist unserer eigenen Vorstellung entsprungen, es ist ein Kind unseres Denkens, und dieses Denken sammelt seine Erfahrungen im Einklang mit seinen Bindungen und Abhängigkeiten. Für diese Vorstellungsbilder des Ichs arbeiten wir wie die Galeerensklaven, bis wir sterben. Der Nationalismus, ja selbst die Anbetung Gottes ist nichts als Selbstverherrlichung unseres Ichs. Nur das Ich ist wichtig, ob unmittelbar oder auf dem Umweg über die Ideologie, das Leid und das Elend in der Welt geht uns im Grunde nichts an. In Wirklichkeit geht es uns gar nicht darum, den Kriegen ein Ende zu machen, es ist nur ein neues, interessantes Thema für die Neunmalklugen, ein Tätigkeitsfeld für die sozial Betriebsamen und Idealisten.

Warum sind wir eigentlich ehrgeizig?

»Wenn es keinen Ehrgeiz gäbe, ginge es in der Welt nicht voran. Ohne Ehrgeiz führen wir heute noch in Pferdekutschen herum. Ehrgeiz ist nur ein anderer Name für Fortschritt. Müssten wir auf den Fortschritt verzichten, so würden wir alsbald elend verkümmern.«

Unser rastloses Schaffen bringt aber der Welt nicht nur Fortschritt, sondern auch Krieg und unsagbares Elend. Ist Ehrgeiz wirklich Fortschritt? Aber der Fortschritt soll uns jetzt nichts angehen, wir haben es nur mit dem Ehrgeiz zu tun. Warum sind wir ehrgeizig? Warum wollen wir Erfolg haben, jemand Besonderer sein? Warum kämpfen wir uns so verbissen nach oben? Welchen Sinn hat dieses Streben, sich zu behaupten und bestätigt zu sehen, sei es unmittelbar, sei es durch eine Ideologie oder durch den Staat? Ist dieses Streben nach Selbstbehauptung nicht die erste Ursache unserer Konflikte und Wirrnisse? Gingen wir ohne Ehrgeiz wirklich zugrunde? Können wir physisch nicht überleben, ohne ehrgeizig zu sein?

»Wer möchte denn überhaupt leben, wenn ihm kein Erfolg, keine Anerkennung winkte?«

Zieht das Verlangen nach Erfolg und Beifall nicht nur innere und äußere Konflikte nach sich? Würden wir wirklich verkümmern, wenn wir von Ehrgeiz frei wären? Bedeutet es Stillstand, wenn wir einmal keine Konflikte haben? Wir lassen uns doch so gern durch Überzeugungen und Doktrinen betäuben und einschläfern, um aller tiefergreifenden Probleme enthoben zu sein. Viele betäuben sich sogar einfach durch irgendeine Tätigkeit. Damit geraten sie allerdings in einen Zustand, der wirklich zu Verfall und Auflösung führt. Wenn wir aber schlicht und einfach das Falsche als falsch erkennen, wie sollte das für uns tödliche Folgen haben? Die Erkenntnis, dass Ehrgeiz in jeder Form, ganz gleich, ob er sich das Glück oder Gott oder den Erfolg zum Ziel nimmt, immer die Quelle innerer und äußerer Konflikte und Schwierigkeiten ist, bedeutet sicherlich nicht das Ende allen Wirkens, geschweige denn des Lebens.

Warum also sind wir ehrgeizig?

»Ich würde mich zu Tode langweilen, wenn ich nicht ein Ziel, ein Ergebnis vor Augen hätte, das ich anstreben kann. Früher war ich sogar für meinen Mann ehrgeizig, aber Sie werden natürlich sagen, dieser Ehrgeiz hätte sich nur des Mannes bedient und in Wirklichkeit mir selbst gegolten. Jetzt gilt mein Ehrgeiz in der Tat mir selbst und bedient sich einer Idee. Ich habe nie über meinen Ehrgeiz nachgedacht, ich war ganz einfach ehrgeizig.«

Warum sind wir immer so gescheit und so ehrgeizig? Werden wir nicht durch unseren Ehrgeiz dazu bestimmt, dem, was ist, aus dem Wege zu gehen? Und wir halten das noch dazu für besonders gescheit, obwohl es in Wirklichkeit töricht ist, so töricht, wie wir uns überhaupt dem Leben gegenüber anstellen. Warum haben wir denn solche Angst vor dem, was ist? Hat es einen Sinn, wenn wir vor der Wirklichkeit davonlaufen, da das, was wir sind, ja doch immer bei uns bleibt? Vielleicht glückt uns die Flucht vor dem, was außer uns ist, aber das, was wir sind, ist nicht abzuschütteln und stürzt uns in Konflikt und Elend.

Warum haben wir solche Angst vor unserer Einsamkeit und inneren Leere? Jede Tätigkeit abseits von dem, was ist, bringt uns notwendig Kummer und Widerstreit. Aller Konflikt ist die Verleugnung dessen, was ist, oder die Flucht vor dem, was ist, andere Konflikte gibt es nicht. Unser allgemeiner Konflikt, die Krise in der Welt, wird immer komplizierter und schwieriger lösbar, weil wir uns hartnäckig dagegen sträuben, das hinzunehmen, was ist. Das, was ist, ist ganz einfach, verschlungen und kompliziert sind allein die vielen Schliche, auf die wir verfallen, um ihm auszuweichen.