Zuhören

Der Vollmond ging gerade über dem Fluss auf, der Dunstschleier färbte ihn rot, und über den vielen Dörfern standen Rauchsäulen, denn es war kalt. Keine einzige Welle kräuselte das Wasser des Flusses, aber die Unterströmung war stark und tief. Die Schwalben flogen so niedrig, dass sie ab und zu mit einer Flügelspitze das Wasser berührten und die ruhige Oberfläche ein ganz klein wenig aufrührten. Flussaufwärts wurde gerade der Abendstern über einem Minarett in der fernen, überfüllten Stadt sichtbar. Die Papageien kamen heim, um nun in der Nähe menschlicher Behausungen zu bleiben. Ihr Flug war nie geradlinig: sie ließen sich mit einem Schrei fallen, pickten ein Korn auf und flogen dann seitwärts weiter; aber sie bewegten sich immer vorwärts, auf einen dicht belaubten Baum zu, auf dem sie sich zu Hunderten niederließen. Plötzlich flogen sie alle wieder auf, suchten den Schutz eines besseren Baumes, und erst beim Eintreten der Dunkelheit kamen sie alle zur Ruhe. Der Mond stand jetzt hoch über den Baumwipfeln und zeichnete eine silberne Bahn auf das ruhige Wasser.

* * *

»Ich erkenne wohl die Bedeutung des Zuhörens, bin aber nicht sicher, ob ich Ihren Worten je richtig zuhöre«, bemerkte er. »Ich muss mich immer irgendwie sehr anstrengen um zuzuhören.«

Hören Sie überhaupt zu, wenn Sie sich dabei anstrengen? Wirkt Ihre Anstrengung nicht gerade ablenkend und hindert Sie am Zuhören? Strengen Sie sich auch an, wenn Sie etwas Erfreuliches hören? Die Anstrengung, die Sie beim Zuhören machen, ist zweifellos eine Art Zwang, und Zwang ist Widerstand, nicht wahr? Widerstand erzeugt Probleme, und so wird Ihnen das Zuhören zum Problem. Zuhören an sich ist niemals ein Problem.

»Aber für mich ist es eins. Ich möchte gern ganz genau zuhören, weil ich fühle, dass Ihre Worte tiefe Bedeutung haben, und doch kann ich nicht über den rein wörtlichen Sinn hinauskommen.«

Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, so hören Sie auch jetzt noch nicht zu, weil Sie aus dem Zuhören ein Problem gemacht haben, das Ihnen zum Hindernis wird. Wir machen alles, was wir berühren, zum Problem, und jede Frage erzeugt viele neue Fragen. Sollte man nicht aufhören können, überhaupt Probleme zu schaffen, wenn man das erkennt?

»Das wäre wunderbar, aber wie kommt man in die glückliche Lage?«

Sehen Sie, die Frage nach dem ›Wie‹, nach der Art und Weise, wie man einen bestimmten Zustand erreichen kann, wird schon wieder zum Problem! Wir sprechen davon, keine neuen Probleme mehr entstehen zu lassen. Wenn ich darauf hinweisen darf, so müssen Sie sich bewusst werden, auf welche Weise unser Verstand Probleme schafft. Sie möchten gern den Zustand vollkommenen Zuhörens erreichen; mit andern Worten, Sie hören gar nicht zu, sondern wollen nur in diesen bestimmten Zustand gelangen und brauchen dazu Zeit und Interesse. Das Bedürfnis nach Zeit und Interesse erzeugt Probleme. Sie sind sich aber nicht einmal der Tatsache bewusst, dass Sie nicht zuhören. Werden Sie sich zuerst dessen bewusst; dann wird die bloße Tatsache, dass Sie nicht zuhören, schon ihre besondere Wirkung haben; die Wahrheit wird ihr eigenes Handeln bedingen, und Sie brauchen nicht mehr auf die Tatsache einzuwirken. Doch Sie wollen immer darauf einwirken, wollen etwas ändern oder das Gegenteil davon ausbilden, um den gewünschten Zustand herbeizuführen und so weiter. Ihr Bemühen, die Tatsache zu beeinflussen, erzeugt Probleme, während das Erkennen der Wahrheit in der bloßen Tatsache seine eigene befreiende Wirkung hat. Solange aber der Verstand sich noch auf irgendeine Weise mit Anstrengung, Vergleich, Rechtfertigung oder Verurteilung beschäftigt, kann man sich weder der Wahrheit bewusst werden noch Falsches als falsch erkennen.

»Das mag wohl so sein; es erscheint mir jedoch bei all den Konflikten und Widersprüchen in meinem Innern fast unmöglich zuzuhören.«

Zuhören ist an sich eine vollkommene Handlung, die ihre eigene Freiheit mit sich bringt. Sind Sie nun tatsächlich um Ihr Zuhören, oder nur um die Unruhe in Ihrem Innern besorgt? Wenn Sie so zuhören könnten, dass Sie gleichzeitig Ihre Konflikte und Widersprüche wahrnähmen, ohne sie in irgendein besonderes Denkschema zu zwingen, dann würden sie vielleicht alle auf einmal aufhören. Sehen Sie, wir versuchen unaufhörlich, etwas zu werden oder einen bestimmten Zustand herbeizuführen, wir wollen gewisse Erfahrungen einfangen und anderen ausweichen, und so ist unser Denken ohne Unterlass beschäftigt. Es ist niemals so still, dass es den Lärm seiner eigenen Kämpfe und Schmerzen hören kann. Seien Sie einfach, und versuchen Sie nicht mehr, etwas zu werden oder bestimmte Erfahrungen zu erlangen.