Der Weg des Wissens – Teil 1

Die Sonne war hinter den Bergen untergegangen, und ihr rosiger Schimmer lag noch auf der Bergkette im Osten. Der Pfad führte bergab und schlängelte sich durch das grüne Tal. Es war ein ruhiger Abend, eine leichte Brise wehte zwischen den Blättern, der Abendstern wurde gerade über dem Horizont sichtbar, und bald würde es ganz dunkel sein, denn es war Neumond. Die Bäume, die offen und einladend dagestanden hatten, zogen sich vor dem Dunkel der Nacht in sich selber zurück. Zwischen den Hügeln war es kühl und still, jetzt war der Himmel voller Sterne, und die Berge zeichneten sich klar und scharf dagegen ab. Ein eigentümlicher Duft, wie er nur der Nacht zu eigen ist, erfüllte die Luft, und in der Ferne bellte ein Hund. Die Nacht war so still, und die tiefe Stille schien in die Felsen, Bäume und alle anderen Dinge einzudringen, so dass nicht einmal die Fußtritte auf dem rauen Pfad störend klangen.

Auch das Denken war vollkommen ruhig. Meditieren ist schließlich kein Mittel, um ein Ergebnis zu erzielen, um einen Zustand herbeizuführen, der schon einmal bestanden hat oder vielleicht eintreten könnte. Meditiert man mit einer bestimmten Absicht, so kann man zwar den erwünschten Erfolg haben, doch ist es dann nur die Erfüllung eines Wunsches und keine Meditation mehr. Verlangen lässt sich nie befriedigen, es nimmt kein Ende. Das Verständnis für sein eigenes Verlangen, ohne den Versuch, es zu hemmen oder zu nähren, ist der Beginn und das Ende allen Meditierens. Aber es geht noch etwas darüber hinaus. Sonderbar, wie beharrlich der Meditierende ist; er sucht weiter fortzubestehen, er wird zum Beobachter, zum Erlebenden, zu einer Erinnerungsmaschine, die bewertet, ansammelt und zurückweist. Wenn aber das Meditieren zu einer Eigenschaft des Meditierenden, des Erlebenden geworden ist, dann bestärkt es ihn nur. 

Stille des Denkens bedeutet die Abwesenheit des Erlebenden oder Beobachters, der sich dieser Stille bewusst wird. Wenn der Sinn ruhig ist, herrscht ein Zustand des Wachseins, der Bewusstheit. Man kann sich in Zwischenräumen vieler Dinge bewusst werden, man kann prüfen, suchen und forschen, aber das sind alles Betätigungen des Verlangens und Wollens, des Wiedererkennens und Erwerbern. Das ewig Wache ist weder Verlangen noch sein Ergebnis. Verlangen erzeugt den Konflikt der Zwiespältigkeit, und Konflikt bedeutet Dunkelheit.

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Sie war reich, hatte einflussreiche Beziehungen und war jetzt auf der Jagd nach dem Geistigen. Sie hatte katholische Meister und Hindu Lehrer aufgesucht, bei den Sufis studiert und sich oberflächlich mit Buddhismus beschäftigt.

»Natürlich«, fügte sie hinzu, »habe ich mich auch mit Okkultismus befasst, und jetzt bin ich hergekommen, um von Ihnen etwas zu lernen.«

Liegt Weisheit in der Ansammlung von vielem Wissen? Darf man fragen: was suchen Sie?

»Zu verschiedenen Zeiten meines Lebens habe ich nach verschiedenen Dingen gestrebt und im allgemeinen auch gefunden, wonach ich suchte. Ich habe große Erfahrung gesammelt und ein abwechslungsreiches Leben geführt. Ich habe sehr viel über alle möglichen Themen gelesen, und bin bei einem hervorragenden Analytiker gewesen, aber ich suche immer noch.«

Warum? Wieso all das Suchen, oberflächlich oder tief?

»Was für eine seltsame Frage! Wenn man nicht sucht, lebt man doch stumpfsinnig dahin. Wenn man nicht beständig lernt, hat das Leben keinen Sinn und man könnte ebenso gut gleich sterben.«

Noch einmal, was lernen Sie  Wenn Sie nachlesen, was andere über den Organismus und das Benehmen menschlicher Wesen gesagt haben, oder soziale und kulturelle Unterschiede analysieren, oder irgendeine der vielen Wissenschaften und Philosophien studieren – was gewinnen Sie damit?

»Ich fühle, dass wir aus Kampf und Elend gerettet werden könnten, wenn wir nur genug Wissen hätten, und daher sammle ich es, wo ich kann. Wissen ist sehr wichtig zum Verständnis.«

Kommt Verständnis wirklich durch Wissen? Oder steht Wissen gerade dem schöpferischen Verständnis im Wege? Wir scheinen zu glauben, dass das Sammeln von Tatsachen und Belehrung, dass universelles Wissen uns aus unsern Fesseln befreien könne. Das ist aber keineswegs der Fall. Niemand hat bisher Feindschaft, Krieg und Hass Einhalt bieten können, obwohl wir alle wissen, wie zerstörend und verderblich sie sind. Wissen ist kein unbedingtes Vorbeugungsmittel dagegen, im Gegenteil, es kann sogar dazu anreizen und ermutigen. Ist es also nicht wichtig herauszufinden, warum wir Kenntnisse sammeln?