Hingebung und Verehrung – Teil 1

Eine Mutter war dabei, ihr Kind zu züchtigen, man hörte es vor Schmerz schreien. Die Mutter war sehr böse und redete hitzig auf es ein, während sie es schlug. Als wir später wieder vorbeikamen, liebkoste sie es und umarmte es so heftig, als wolle sie es zu Tode drücken. Tränen standen in ihren Augen. Das Kind sah ganz bestürzt aus, aber es lächelte zu seiner Mutter auf.

Liebe ist so seltsam, wie leicht geht ihre wärmende Flamme verloren! Wenn die Flamme verlöscht, bleibt nichts als Rauch übrig. Der Rauch erfüllt unser Herz und unsern Sinn, und wir verbringen unsere Tage in Bitternis und Tränen. Wir haben unser Lied vergessen, die Bedeutung der Worte verloren, der Duft ist verweht, und wir stehen mit leeren Händen da. Wir wissen nicht, wie wir die Flamme klar und rauchlos erhalten sollen, der Rauch erstickt sie immer wieder. Doch Liebe gehört nicht zum Verstande und liegt nicht im Netz unseres Denkens, man kann sie weder finden noch üben oder nähren; sie ist da, wenn unser Sinn ruhig und unser Herz frei von den Dingen des Verstandes ist.

Von unserem Raum konnte man den Fluss übersehen, auf dessen Wasser die Sonne glitzerte.

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Er war keineswegs töricht, nur voller Gemütsbewegung und sehr überschwänglich; sicherlich hatte er selber sein Vergnügen daran, denn es schien ihm große Freude zu machen. Er wartete ungeduldig darauf, zu Worte zu kommen,  und  als er  auf  einen  goldgrünen  Vogel  aufmerksam gemacht wurde, ließ er seinem Gefühl freien Lauf und fing zu schwärmen an. Dann sprach er über die Schönheit des Flusses und sang ein Lied dazu. Seine Stimme war angenehm, nur zu laut für den kleinen Raum. Zu dem grün-goldenen Vogel gesellte sich ein anderer, sie saßen beide dicht zusammen und putzten ihre Gefieder.

»Ist Verehrung nicht ein Weg zu Gott? Bewirkt aufopfernde Hingabe nicht die Läuterung des Herzens? Ist sie nicht ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens?«

Was verstehen Sie unter Hingabe?

»Liebe zum Höchsten, ein Blumenopfer vor dem Ebenbild, dem Symbol Gottes. Hingabe ist völlige Versenkung, die Liebe, die über fleischliche Liebe hinausgeht. Ich habe viele Stunden ruhig gesessen, völlig in meine Liebe zu Gott versunken. In solchem Zustande bin ich nichts und weiß nichts. Dann verschmilzt alles Leben – der König und der Straßenkehrer sind eins. Es ist ein wunderbarer Zustand. Sie werden ihn sicherlich auch kennen.«

Ist Hingebung Liebe, und steht sie außerhalb unseres täglichen Lebens? Kann man die Hingabe an eine Sache, an Wissen, Dienst oder Handeln als ein Opfer bezeichnen? Wenn man sich in Hingebung versenkt, ist das Selbst-Aufopferung? Oder Selbstverleugnung, wenn man sich völlig mit dem Gegenstand seiner Hingabe identifiziert? Ist die Versenkung in ein Buch, eine Litanei oder eine Idee Selbstlosigkeit? Bedeutet Hingabe das Anbeten eines Bildes, Menschen oder Symbols? Besteht die Wirklichkeit aus Symbolen, und kann ein Symbol die Wahrheit vertreten? Jedes Symbol ist statisch; wie aber soll etwas Statisches je das Lebendige darstellen? Ist Ihr Bildnis dasselbe wie Sie?

Lassen Sie uns einmal betrachten, was wir unter Hingabe verstehen. Sie verbringen mehrere Stunden am Tage mit dem, was Sie Liebe oder Beschauung Gottes nennen. Ist das wirklich Hingabe? Ein Mensch, der sein Leben sozialen Verbesserungen weiht, ist seiner Arbeit hingegeben; auch ein General, dessen Arbeit in planmäßiger Zerstörung besteht, ist ihr ergeben. Ist all das Hingabe? Sie verwenden viel Zeit darauf, sich – wenn ich so sagen darf – an dem Ebenbilde oder der Idee Gottes zu berauschen; viele Menschen tun so etwas auch auf andere Weise. Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen all diesen Formen der Verehrung, und richtet sich Hingabe auf einen Gegenstand?

»Aber die Anbetung Gottes verzehrt mein ganzes Leben. Ich bin mir ausschließlich Gottes bewusst. Er erfüllt mein Herz.«

Und der Mensch, der seine Arbeit, seinen Führer oder seine Ideologie anbetet, wird auch von dem verzehrt, womit er sich beschäftigt. Sie erfüllen Ihr Herz mit dem Wort ›Gott‹, ein anderer mit Tätigkeit – ist das Hingabe? Sie sind glücklich mit Ihrem Bilde oder Symbol, ein anderer mit seinen Büchern oder mit Musik – ist das Hingabe? Jemand verliert sich an eine Sache – ist das Hingabe? Ein Ehemann ist seiner Frau aus den verschiedensten Gründen der Befriedigung ergeben – ist Befriedigung Hingabe? Man identifiziert sich mit seinem Vaterlande und berauscht sich daran – ist das Hingabe?

»Wenn ich mich ganz Gott überliefere, füge ich doch niemandem Schaden zu. Im Gegenteil, ich gehe selber allem Unheil aus dem Wege und schädige keinen andern.«

Das ist wenigstens etwas. Immerhin, wenn Sie vielleicht auch äußerlich keinen Schaden anrichten, so bleibt doch die Illusion auf einer tieferen Ebene für Sie wie für die Gesellschaft immer noch schädlich.

»Ich kümmere mich nicht um die Gesellschaft. Meine Bedürfnisse sind sehr gering. Ich habe meine Leidenschaften unter Kontrolle und verbringe meine Tage im Schatten Gottes.«