Interesse – Teil 1

Er war der Direktor einer Schule und hatte Universitätsrang. Sein Interesse für Erziehung war sehr groß gewesen, auch hatte er viel an allerlei Sozialreformen mitgearbeitet; jetzt aber, so sagte er, habe er die Triebkraft verloren, obwohl er noch recht jung sei. Er führe seine Obliegenheiten fast mechanisch aus und arbeite seine tägliche Routine in müder Langeweile ab. Er habe keine Freude mehr an dem, was er tue, und der Auftrieb, den er früher gehabt, sei völlig verschwunden. Er sei religiös gerichtet und habe danach gestrebt, bestimmte Reformen in seiner Religion einzuführen, aber auch das sei eingeschlafen. Er sehe keinen Wert in irgendwelchen besonderen Taten mehr.

Warum?

»Alles Handeln führt zu Verwirrung, Unheil und neuen Problemen. Ich habe versucht, vernünftig und intelligent zu handeln, aber es endete stets in einem Durcheinander. Die verschiedenen Tätigkeiten, die ich ausübte, haben alle bei mir ein Gefühl von Depression, Furcht und Überdruss hinterlassen und zu nichts geführt. Jetzt fürchte ich mich vor dem Handeln, und meine Angst, mehr Schaden als Gutes anzurichten, hat bewirkt, dass ich mich auf ein Minimum an Tätigkeit beschränkt habe.«

Was ist die Ursache Ihrer Furcht? Haben Sie Angst davor, Schaden anzurichten? Ziehen Sie sich vom Leben zurück, weil Sie fürchten, mehr Verwirrung zu stiften? Fürchten Sie sich vor der Verwirrung, die Sie stiften könnten, oder vor der in Ihrem Innern? Wenn Sie innere Klarheit besäßen und aus Klarheit handelten, würden Sie sich dann um äußere Verwirrung, die Ihr Handeln vielleicht verursachen könnte, Sorge machen? Fürchten Sie sich vor innerer oder äußerer Verwirrung?

»Ich habe es noch nie so betrachtet und möchte Ihre Worte erst einmal überlegen.«

Würden Sie sich daran stoßen, mehr Probleme herbeizuführen, wenn Sie sich innerlich im klaren wären? Wir laufen immer so gern vor unseren Problemen davon, aber vergrößern sie dadurch nur. Probleme aufzudecken, kann den Anschein von Verwirrung erwecken, aber die Fähigkeit, ihnen zu begegnen, hängt von der Klarheit des Zuganges ab. Wäre Ihr Handeln auch voller Verwirrung, wenn Sie klar sähen?

»Ich sehe nicht klar und weiß nicht, was ich tun soll. Ich könnte einem ›Ismus‹ der Rechten oder Linken beitreten, aber das würde ebenso wenig zu klarem Handeln führen. Man könnte vor den Sinnwidrigkeiten eines bestimmten ›Ismus‹ die Augen schließen und trotzdem dafür arbeiten, aber die Tatsache bleibt, dass bei dem Handeln aller ›Ismen‹ im wesentlichen mehr Schaden als Nutzen entsteht. Wenn ich innerlich im klaren wäre, würde ich mich den Problemen stellen und versuchen, sie aufzuklären. Aber ich bin mir über nichts klar und habe jeden Antrieb zum Handeln verloren.«

Wieso haben Sie allen Antrieb verloren? Haben Sie sich in Ihrer begrenzten Tatkraft verausgabt, oder sich bei Dingen erschöpft, für die Sie im Grunde kein Interesse haben? Oder wäre es denkbar, dass Sie Ihr wahres Interesse noch nicht entdeckt haben?

»Sehen Sie, nach dem Universitätsstudium habe ich mich lebhaft für Sozialreform interessiert und ein paar Jahre lang viel dafür gearbeitet; aber ich erkannte sehr bald, wie belanglos all das ist, und so ließ ich es fallen und wandte mich der Erziehung zu. Ich arbeitete eine Reihe von Jahren wirklich eifrig dafür und kümmerte mich um nichts anderes, aber schließlich ließ ich auch das fallen, weil meine Verwirrung immer mehr zunahm. Ich war ehrgeizig, nicht um meinetwillen, sondern für den Erfolg der Arbeit, aber die anderen, mit denen ich zusammenarbeitete, zankten sich beständig, weil sie eifersüchtig und für ihre eigene Person ehrgeizig waren.«

Ehrgeiz ist etwas Sonderbares. Sie sagen, Sie seien nicht persönlich ehrgeizig gewesen sondern nur für den Erfolg der Arbeit. Gibt es einen Unterschied zwischen persönlichem und sogenannt unpersönlichem Ehrgeiz? Sie würden es nicht für persönlich oder kleinlich halten, sich mit einer Ideologie zu identifizieren und ehrgeizig dafür zu arbeiten, das nennen Sie eine würdige Form von Ehrgeiz, nicht wahr? Ist es wirklich so? Sehen Sie, Sie haben nur den Begriff ›unpersönlich‹ für ›persönlich‹ eingesetzt, doch der Trieb oder Beweggrund ist derselbe geblieben. Sie streben in der Arbeit, mit der Sie sich identifizieren, nach Erfolg. Für das Wort ›ich‹ haben Sie ›Arbeit‹, ›System‹, ›Vaterland‹ oder ›Gott‹ eingesetzt. Sie selber bleiben immer noch wichtig, und Ihr Ehrgeiz ist beständig am Werke  – mit aller  Unbarmherzigkeit, Eifersucht und Furcht. Haben Sie Ihre Arbeit aufgegeben, weil Sie nicht erfolgreich waren? Und hätten Sie sie mit Erfolg fortgesetzt?

»Ich glaube nicht, dass es daran lag. Die Arbeit selber hatte ziemlichen Erfolg, so wie alles, woran man Zeit, Energie und Intelligenz wendet. Ich gab sie auf, weil sie zu nichts führte; sie brachte mir zeitweise Linderung, aber keine grundlegende und bleibende Wandlung.«