Disziplin – Teil 1

Wir waren durch dichten Verkehr gefahren und bogen nun von der Hauptstraße in eine beschützte Seitenstraße ab. Als wir den Wagen verließen, folgten wir dem Pfade, der sich durch einen Palmenhain wand und an einem grünen, reifen Reisfelde entlang lief. Wie schön war das lange, geschwungene Reisfeld, von hohen Palmen umstanden! Der Abend war kühl, und eine leichte Brise regte sich zwischen dem schweren Laub der Bäume. Ganz unerwartet tauchte ein See hinter der Biegung auf. Er war lang, schmal und tief, und die Palmen an beiden Ufern standen so nahe zusammen, dass sie fast undurchdringlich schienen. Die Brise spielte auf dem Wasser, und am Ufer hörte man ein Murmeln. Ein paar Jungen waren dabei zu baden – nackt, frei und ohne Scham. Ihre Körper glitzerten, so wohlgeformt, schlank, biegsam und schön waren sie! Sie schwammen immer bis in die Mitte des Sees hinaus, kamen dann zurück und begannen wieder von vorn. Der Weg führte weiter an einem Dorf vorbei. Auf unserm Rückweg kam der Vollmond hervor und warf tiefe Schatten. Die Jungen waren fort. Mondlicht lag auf dem Wasser, und die Palmen leuchteten im schattigen Dunkel wie weiße Säulen.

* * *

Er war von weither gekommen und war voller Ungeduld herauszufinden, wie man sein Denken unterjochen könne. Er sagte, er habe sich vorsätzlich von der Welt zurückgezogen, lebe sehr einfach bei Verwandten und widme seine Zeit dem Versuch der Beherrschung seines Denkens. Schon seit einer Reihe von Jahren mache er bestimmte Übungen, aber sein Denken sei immer noch nicht unter Kontrolle und wolle beständig ausbrechen wie ein Tier an der Leine. Er habe gehungert, doch das habe nichts geholfen, er habe Versuche mit seiner Nahrung angestellt, was ein wenig geholfen habe – niemals jedoch habe er Frieden gefunden. Sein Denken werfe beständig Bilder auf, beschwöre Szenen, Empfindungen und Ereignisse aus der Vergangenheit, oder es beschäftige sich damit, wie es morgen ruhig werden könne. Doch das Morgen käme nie, und der ganze Vorgang werde zu einem Alpdruck für ihn. Nur sehr selten sei sein Sinn ruhig, und allzu schnell ginge die Ruhe jedes Mal in Erinnerung über und gehöre wieder der Vergangenheit an.

Was einmal besiegt wird, muss immer wieder besiegt werden. Unterdrücken ist eine Art Besiegen, genauso wie Ersetzen und Sublimieren es sind. Unser Wunsch nach Überwindung schafft neue Konflikte. Warum wollen Sie Ihr Denken überwinden und zur Ruhe bringen?

»Ich habe mich immer für religiöse Dinge interessiert, habe verschiedene Religionen studiert, die alle verkünden, unser Sinn müsse ruhig gemacht werden, wenn wir Gott erfahren wollen. Solange ich zurückdenken kann, bin ich immer auf der Suche nach Gott gewesen, nach durchdringender Schönheit in der Welt – in den Reisfeldern wie in schmutzigen Dörfern. Ich bin im Ausland gewesen, hatte eine vielversprechende Laufbahn vor mir und so weiter, doch eines Tages ließ ich alles im Stich und ging auf die Suche nach jener Stille. Neulich hörte ich, was Sie darüber sagten, und so bin ich hierher zu Ihnen gekommen.«

Sie versuchen, Ihr Denken zu unterdrücken, um Gott zu finden. Ist die Ruhe wirklich ein Weg zu Gott? Ist Ruhe ein Schlüssel, der die Himmelstore öffnet? Sie wollen sich den Weg zu Gott, zur Wahrheit, oder wie Sie es nennen, erkaufen. Kann man sich das Ewige durch Tugend, Verzicht oder Kasteiung erkaufen? Wenn man Tugend übt, der Keuschheit nachstrebt oder sich von der Welt zurückzieht, so glaubt man, damit das Unermessliche abmessen zu können. Das ist nichts als ein Handel, nicht wahr? Ihre ›Tugend‹ wird ein Mittel zum Zweck.

»Aber Disziplin ist doch nötig, um unser Denken im Zaum zu halten, sonst hat man niemals Frieden. Ich habe meinen Sinn nur nicht genug geschult, es ist meine eigene Schuld und nicht die der Disziplin.«

Disziplin ist ein Mittel zum Zweck, aber unser Zweck ist das Unbekannte. Wahrheit ist etwas Unbekanntes, man kann sie nicht erkennen. Wird sie erkannt, so ist es nicht Wahrheit. Wenn man das Unermessliche misst, besteht es nicht mehr. Unser Maßstab ist das Wort, und Worte sind nicht wirklich. Disziplin ist ein Mittel, aber Mittel und Zweck sind nicht zweierlei, nicht wahr? Mittel und Zweck sind ein und dasselbe. Das Mittel ist Zweck, der einzige Zweck, und es gibt kein Ziel, das vom Mittel zu trennen sei. Gewalt als Mittel zum Frieden ist nichts als die Fortsetzung von Gewalt. Nur auf die Mittel kommt es an und nicht auf das Ziel, denn das Ziel wird durch die Mittel bestimmt.

»Ich möchte Ihnen nur zuhören und Ihre Worte zu erfassen suchen; wenn ich etwas nicht verstehe, werde ich fragen.«

Sie gebrauchen Disziplin und Kontrolle als Mittel, um Ruhe zu gewinnen, nicht wahr? Disziplin schließt Anpassung an ein Schema ein: man kontrolliert sich, um dies oder jenes zu erreichen. Ist nicht Disziplin gerade seinem innersten Wesen nach Gewalt? Sich zu disziplinieren, kann Vergnügen machen, aber das Vergnügen bildet auch eine Art Widerstand aus, der zu neuen Konflikten führt. Bedeutet das Ausüben von Disziplin nicht den Aufbau einer Verteidigung? Und was verteidigt wird, muss notwendigerweise angegriffen werden. Disziplin, um zu einem erwünschten Ziel zu gelangen, umfasst auch das Unterdrücken dessen, was ist; Unterdrückung, Ersatz und Sublimierung verdoppeln unsere Anstrengung und führen zu neuen Konflikten. Man kann eine Krankheit mit Erfolg unterdrücken, aber sie wird immer wieder in anderer Form zutage treten, bis sie ausgerottet ist. Disziplin ist die Unterdrückung und Überwindung dessen, was ist. Disziplin ist eine Art Gewalt, und wir hoffen, durch ›falsche‹ Mittel einen ›richtigen‹ Zweck zu erreichen.