Bejahende und verneinende Lehre – Teil 1

Der Weg war holprig und staubig, er führte bergab, zu einer kleinen Stadt hinunter. Ein paar Bäume standen noch verstreut am Hügelabhang, aber die meisten waren gefällt und zu Brennholz zerhackt worden, und man musste schon recht hoch steigen, um Schatten zu finden. Dort oben waren die Bäume nicht mehr verkrüppelt oder von Menschenhand beschädigt, sondern wuchsen zu voller Höhe, hatten dicke Äste und regelrechtes Laub. Die Leute pflegten hier jeweils einen Ast abzuhauen, ließen ihre Ziegen die Blätter abfressen, und wenn er kahl war, zerhackten sie ihn zu Brennholz. Tiefer unten wurde das Holz knapper, so stiegen sie allmählich immer höher hinauf und zerstörten die Bäume. Es regnete nicht mehr so reichlich wie früher, die Bevölkerung nahm stetig zu, und die Menschen mussten ihr Leben fristen. Überall herrschte Hunger, und man wurde gleichgültig gegen Leben und Tod. Es gab hier keine wilden Tiere, sie hatten sich wahrscheinlich höher hinauf zurückgezogen. Ein paar Vögel scharrten zwischen den Büschen, selbst die sahen zerzaust aus und hatten gebrochene Federn. Ein schwarz-weißer Häher keifte heiser, während er auf einem einsamen Baume von Ast zu Ast flog.

Es wurde immer wärmer, gegen Mittag würde es sehr heiß sein. Hier hatte es viele Jahre lang nicht mehr genug geregnet. Die Erde war vor Trockenheit geborsten, brauner Staub bedeckte die Bäume, es lag nicht einmal Morgentau. Tag für Tag, Monat für Monat schien die Sonne unbarmherzig, und die so ungewisse Regenzeit war noch weit entfernt. Ein Junge kam mit ein paar Ziegen, die er hütete, den Berg hinauf. Er war verwundert, jemandem zu begegnen, aber er lächelte nicht, sondern folgte den Ziegen mit ernster Miene. Hier war Einsamkeit, und die Stille der nahenden Hitze lag über allem.

Zwei Frauen kamen den Pfad hinunter, die eine war alt, die andere noch ganz jung; sie trugen Brennholz, und ihre Lasten sahen ziemlich schwer aus. Jede der Frauen balancierte auf ihrem Kopf, der von einer Tuchrolle beschützt wurde, ein langes Bündel trockener, mit grünen Ranken zusammengebundener Äste, das sie mit einer Hand festhielt. Ihre Körper schwangen in freier Bewegung, wie sie so mit leichtem, schnellem Gang den Berg hinabliefen. Sie hatten bloße Füße, trotz des rauen Pfades, und die Füße schienen wie von selber den Weg zu finden, denn die Frauen sahen nie herunter, sie hielten den Kopf hoch, und ihre blutunterlaufenen Augen blickten in die Ferne. Beide waren so mager, dass sich ihre Rippen abzeichneten. Das Haar der älteren Frau war ungewaschen und verfilzt, während das des Mädchens wohl früher einmal gut gekämmt und eingefettet gewesen sein mag, denn es wies noch ein paar saubere, glänzende Strähnen auf. Sie war abgespannt bis zur Erschöpfung; wahrscheinlich hatte sie noch bis vor kurzem mit anderen Kindern gespielt und gesungen, aber das war nun vorüber. Von jetzt ab würde sich ihr Leben bis zu ihrem Tode beim Holzsammeln auf den Hügeln abspielen, und nur gelegentlich durch die Geburt eines Kindes unterbrochen werden.

Wir gingen alle den Pfad hinunter. Das kleine Dorf lag noch mehrere Meilen entfernt; dort würden sie ihre Lasten für einen Hungerlohn verkaufen und morgen wieder neu anfangen müssen. Sie unterhielten sich ab und zu und machten dann wieder lange Pausen. Plötzlich sagte die Jüngere zu ihrer Mutter, sie sei hungrig, aber die Mutter antwortete, sie würden mit Hunger geboren und müssten mit Hunger leben und sterben, das sei ihr Los. Sie sagte es nüchtern und tatsächlich, in ihrer Stimme klang kein Vorwurf, kein Ärger, keine Hoffnung. Wir gingen immer weiter den steinigen Weg hinunter. Nun war kein Beobachter mehr hinter ihnen, der ihnen voller Mitleid zuhörte, der aus Liebe und Erbarmen an ihnen Anteil nahm: er war die beiden Frauen, er bestand nicht mehr, es gab nur noch sie. Sie waren nicht mehr die Fremden, die er oben auf dem Berge getroffen hatte, sie waren alle eins. Die Hände, die die Bündel hielten, waren die seinen, und Schweiß, Erschöpfung, Geruch und Hunger waren nicht mehr Eigenschaften der andern, die man teilte und bemitleidete. Zeit und Raum waren ausgelöscht. Es gab keine Gedanken mehr in unserm Kopf, wir waren zu müde zum Denken, und wenn wir dachten, war es nur über den Verkauf des Holzes, über Essen, Ruhen und Wiederanfang. Weder die Füße auf dem steinigen Pfad noch die heiße Sonne schmerzten uns. Es gab nur uns beide, wie wir den wohlbekannten Hügel herabgingen zu dem Brunnen, an dem wir immer zu trinken pflegten, und weiter über das trockene Bett eines ehemaligen Flusses.

* * *

»Ich habe ein paar Vorträge von Ihnen gelesen und angehört«, erklärte er, »aber alles, was Sie sagen, erscheint mir so negativ; ich finde darin keine Richtschnur, keine positive Einstellung zum Leben. Der orientalische Ausblick ist geradezu zerstörend; sehen Sie nur, wohin er den Orient gebracht hat! Ihre negative Haltung und ganz besonders Ihr Betonen des Sich-Freimachens von allem Denken ist für uns Abendländer sehr irreführend, wir sind aktiv und fleißig, sowohl unserem Temperament nach, wie aus Notwendigkeit. Was Sie lehren, steht in vollkommenem Gegensatz zu unserer Lebensart.«