Die Furcht vor dem Tode – Teil 1

In dem roten Staub vor dem Hause lagen eine Menge Trompetenblumen mit goldenen Kelchen. Sie hatten große, purpurne Blütenblätter und strömten einen zarten Duft aus. Im Dunkel der Nacht hatten sie die Erde bedeckt, aber im Lauf des Tages würden sie alle weggefegt werden. Sie kamen von der kräftigen Schlingpflanze, deren gezackte Blätter in der Morgensonne glitzerten. Ein paar Kinder traten achtlos auf die Blumen, und ein Mann, der eilig in seinen Wagen stieg, bemerkte sie nicht einmal. Ein Vorübergehender pflückte eine Blüte, sog ihren Duft ein und nahm sie mit, nur um sie später achtlos fallen zu lassen. Eine Frau kam aus dem Hause, wo sie wohl in Dienst war, brach eine Blume ab und steckte sie sich ins Haar. Wie herrlich waren die Blüten, und wie schnell welkten sie in der Sonne!

* * *

»Mein ganzes Leben lang hat mich eine Art Furcht verfolgt. Schon als Kind war ich sehr ängstlich, scheu und empfindsam, und jetzt fürchte ich mich vor dem Altwerden und dem Tode. Ich weiß, dass wir alle sterben müssen, aber meine Furcht lässt sich nun einmal nicht beschwichtigen, auch nicht mit der größten Vernunft. Ich bin der Parapsychologischen Gesellschaft beigetreten, habe ein paar spiritistische Sitzungen mitgemacht und alles gelesen, was die großen Lehrer über den Tod gesagt haben, aber die Furcht ist mir geblieben. Ich habe sogar Psychoanalyse versucht, aber auch das hat nichts geholfen. Meine Furcht ist langsam zu einem Problem geworden. Ich wache nachts mit entsetzlichen Träumen auf, die sich alle mehr oder weniger mit dem Tode beschäftigen. Tod und Gewalt erschrecken mich über alle Maßen, der Krieg war ein unausgesetzter Alpdruck für mich, und jetzt bin ich wirklich tief beunruhigt. Es ist keine Neurose, aber ich fühle, es könnte eine werden. Ich habe alles Erdenkliche getan, um meine Furcht zu beherrschen, habe auch versucht, vor ihr davonzulaufen, aber am Ende meiner Flucht ist es mir nicht geglückt, sie abzuschütteln. Ich habe ein paar ziemlich törichte Vorträge über Wiedergeburt gehört und die Literatur der Hindus und Buddhisten darüber studiert – aber alles war, wenigstens für mich, höchst unbefriedigend. Meine Furcht vor dem Tode ist nicht oberflächlich, sondern sitzt sehr tief.«

Wie ist Ihre Einstellung zur Zukunft, zum Morgen oder zum Tode? Wollen Sie die Wahrheit darüber erfahren, oder suchen Sie nach Bestätigung und nach befriedigenden Versicherungen über Fortdauer, respektive Zerstörung? Wollen Sie die Wahrheit oder eine tröstende Antwort hören?

»Wenn Sie es so ausdrücken, weiß ich wirklich nicht, wovor ich mich fürchte, aber meine Furcht ist immer noch da und bedrängt mich.«

Was ist Ihr Problem: Wollen Sie sich von Ihrer Furcht befreien, oder wollen Sie die Wahrheit über den Tod wissen?

»Was verstehen Sie unter der Wahrheit über den Tod?«

Der Tod ist eine unumstößliche Tatsache. Was man auch tun mag, er ist unwiderruflich, endgültig und wahr. Wollen Sie die Wahrheit über das erfahren, was jenseits des Todes liegt?

»Aus all meinen Studien und den wenigen Materialisationen, die ich bei spiritistischen Sitzungen miterlebte, habe ich entnommen, dass es offenbar eine Art Fortdauer nach dem Tode gibt. Unser Denken setzt sich in irgendeiner Weise fort, was Sie selber auch behauptet haben; und genauso wie das Rundfunk-Senden von Liedern, Worten und Bildern am andern Ende einen Empfänger benötigt, so braucht unser Denken, das nach dem Tode anhält, ein Instrument, durch das es sich ausdrücken kann. Dazu kann es sich ein Medium wählen oder sich auf andere Art verkörpern. All das ist ziemlich klar, man kann Versuche damit anstellen und es verstehen. Aber obgleich ich tief in das Gebiet eingedrungen bin, trage ich immer noch eine unergründliche Furcht in mir, die, wie ich bestimmt glaube, mit dem Tode zusammenhängt.«

Der Tod ist unvermeidlich. Fortdauer dagegen kann man beenden oder nähren und aufrecht erhalten. Was Fortdauer besitzt, kann sich aber nicht erneuern, es kann weder neu sein noch das Unbekannte verstehen. Fortdauer ist Dauer, und was ewig fortdauert, ist nicht zeitlos. Das Zeitlose entsteht nicht durch Zeit oder Dauer. Soll etwas Neues beginnen, so muss etwas aufhören. Das Neue liegt nicht innerhalb der Fortdauer unseres Denkens. Denken ist ununterbrochene Bewegung in der Zeit, und solche Bewegung kann unmöglich einen Daseinszustand einschließen, der nicht zur Zeit gehört. All unser Denken stützt sich auf die Vergangenheit und gehört seinem ganzen Wesen nach zur Zeit. Zeit ist nicht nur etwas Chronologisches, sondern auch die Bewegung unseres Denkens von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft, und zwar eine Bewegung von Gedächtnis, Wort, Bild, Symbol, Aufzeichnung und Wiederholung. Denken oder Gedächtnis setzt sich durch Wort und Wiederholung ununterbrochen fort. Das Ende des Denkens bildet den Anfang von etwas Neuem, das Absterben des Denkens wird zum ewigen Leben. Soll etwas Neues entstehen, so muss beständiges Enden stattfinden. Das Neue ist nichts Fortlaufendes, es liegt niemals auf dem Gebiet der Zeit. Es besteht nur im Sterben von Augenblick zu Augenblick. Man muss jeden Tag sterben können, wenn das Unbekannte eintreten soll. Enden ist Beginnen, doch unsere Furcht verhindert das Enden.

»Ich weiß, dass ich Furcht habe, aber ich weiß nicht, was dahinter liegt.«

Was verstehen wir unter Furcht? Was ist Furcht? Sie ist nichts Abstraktes und tritt niemals unabhängig oder abgesondert auf. Sie entsteht nur in Beziehung zu etwas und offenbart sich im Verlauf der Beziehung, es gibt keine Furcht außerhalb von Beziehungen. Wovor also fürchten Sie sich? Sie sagen, Sie fürchten sich vor dem Tode. Was bedeutet das? Trotz aller unserer Theorien, Grübeleien und erkennbarer Tatsachen ist der Tod immer noch das Unbekannte. Wenn wir auch noch soviel darüber wissen, können wir ihn doch nicht in das Gebiet des Bekannten einreihen, und obwohl wir die Hand nach ihm ausstrecken, lässt er sich nicht fassen. Gedankenverbindungen liegen im Reich des Bekannten, doch das Unbekannte lässt sich nicht vertraut machen oder durch Gewohnheit einfangen – und so entsteht Furcht.

Kann unser Bewusstsein – das Bekannte – je etwas Unbekanntes begreifen oder in sich schließen? Die Hand, die man danach ausstreckt, wird nur Erkennbares empfangen, doch niemals das Unerkennbare. Nach Erfahrung zu verlangen, bedeutet, seinem Denken Fortdauer zu verleihen, nach Erfahrung zu verlangen, heißt, die Vergangenheit zu bestärken und das Bekannte zu fördern. Sie wollen den Tod zu erfahren suchen, nicht wahr? Obgleich Sie leben, wollen Sie wissen, was Todsein bedeutet. Wissen Sie überhaupt, was Leben ist? Sie kennen Leben nur als Konflikt, Verwirrung, Widerstreit, flüchtige Freuden und Leiden. Ist das wirklich Leben? Ist Kummer und Schmerz Leben? In dem Zustand, den wir Leben nennen, in Leid, Kampf und Hass, der in der Freude miteingeschlossen ist, möchten wir etwas erleben, was außerhalb unseres Bewusstseinsgebietes liegt und unserem sogenannten Leben entgegengesetzt ist. Ein Gegensatz ist aber nur die Fortsetzung dessen, was ist, vielleicht in veränderter Form. Der Tod ist indessen kein Gegensatz von etwas – er ist das Unbekannte. Während das Erkennbare dringend danach fordert, den Tod oder das Unbekannte zu erleben, kann es ihn unmöglich erleben, was es auch tun mag; daher die Furcht. Ist es nicht so?