Stille des Denkens – Teil 1

Hinter dem Dunst in der Ferne lag weißer Sand und das kühle Meer, aber hier war es unerträglich heiß, sogar unter den Bäumen und im Innern des Hauses. Der Himmel war schon nicht mehr blau, die Sonne schien jede Spur von Feuchtigkeit aufgesogen zu haben. Die Seebrise hatte sich gelegt, und die Berge, die klar und nahe standen, warfen die brennenden Sonnenstrahlen zurück. Unser Hund, sonst so rastlos, lag keuchend da, als ob sein Herz in der unerträglichen Hitze zerspringen wolle. Nun würde es Woche für Woche, viele Monate lang klare, sonnige Tage geben, während die Hügelkette, die nicht mehr grün und weich wie nach dem Frühlingsregen aussah, allmählich braun verbrannte und die Erde trocken und hart wurde. Aber auch jetzt noch lag Schönheit über den Hügeln, wie sie hinter den grünen Eichen und dem goldenen Heu unter den nackten Felsen der Berge schimmerten.

Der Pfad, der durch die Hügel hoch hinauf in die Berge führte, war staubig, uneben und voller Steine. Da war kein Fluss, kein Laut rinnenden Wassers. Die Hitze war hier sehr groß, aber im Schatten einiger Bäume am Rande des trockenen Flussbettes war es erträglich, denn eine leichte Brise wehte aus dem Tal die Schlucht herauf. Von dieser Höhe konnte man das Blau des Meeres viele Meilen entfernt erkennen. Es war sehr ruhig hier, die Vögel waren still geworden, sogar ein Eichelhäher, der bisher laut und zänkisch geschrieen hatte, war zur Ruhe gekommen. Ein braunes Reh kam den Pfad hinunter; wachsam beobachtend ging es auf einen kleinen Wassertümpel in dem sonst ganz trockenen Flussbett zu. Es bewegte sich geräuschlos über die Steine, seine langen Ohren zuckten unruhig, und seine großen Augen nahmen jede Bewegung zwischen den Büschen wahr. Es trank sich satt und hätte sich vielleicht im Schatten neben dem Tümpel niedergelegt, wenn es nicht die Gegenwart eines Menschen gespürt hätte, obwohl es ihn nicht sehen konnte; so ging es unruhig den Pfad weiter hinunter und verschwand. Wie schwer war es, einen Steppenwolf – eine Art wilden Hundes – zwischen den Felsen zu beobachten! Er hatte dieselbe Farbe wie die Felsen und gab sich alle Mühe, unsichtbar zu sein. Man musste ihn dauernd im Auge behalten, und selbst dann noch verschwand er plötzlich und ließ sich nicht wieder auffinden: man suchte und suchte nach der geringsten Bewegung, konnte aber nichts mehr sehen. Vielleicht würde er auch zu dem Wassertümpel kommen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ein schreckliches Feuer in den Bergen gewütet, und alle wilden Tiere waren fortgezogen; jetzt erst kamen allmählich einige wieder zurück.

Eine Wachtel leitete die Schar ihrer neugeborenen Küken über den Pfad, es waren mehr als ein Dutzend. Sie lockte und trieb sie sanft auf einen dichten Busch zu. Die Küken waren runde, gelblich-grüne, zarte Federbällchen, noch ganz unvertraut mit den Gefahren dieser Welt, aber lebhaft und über alles entzückt. Unter dem Busch kletterten ein paar von ihnen auf den Rücken der Mutter, während die andern unter ihren Flügeln Schutz suchten, um sich von den Mühen der Geburt zu erholen.

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Was bindet uns Menschen aneinander? Nicht unsere Bedürfnisse, nicht Handel und Großindustrie, noch Banken oder Kirchen – das sind bloße Ideen und deren Ergebnisse. Ideen können uns nicht vereinen. Wir mögen aus Annehmlichkeit oder Notwendigkeit, in Hass, Gefahr oder Anbetung zusammenkommen, aber nichts von alledem hält uns zusammen. Das muss alles von uns abfallen, bis wir allein bleiben. Im Alleinsein entsteht Liebe, und nur Liebe bindet uns aneinander.

Voreingenommenes Denken ist niemals frei, mag es sich auch mit dem Erhabenen oder dem Kleinlichen beschäftigen.

Er war aus einem entfernten Lande gekommen, und trotz der Kinderlähmung, die er gehabt hatte, war er jetzt wieder imstande zu gehen und seinen Wagen zu fahren.

»Wie so viele Menschen, besonders in meiner Lage, habe ich den verschiedensten Kirchen und religiösen Organisationen angehört«, sagte er, »keine hat mir je Befriedigung gebracht, aber man hört nie auf zu suchen. Ich halte mich für religiös gesinnt, doch habe ich eine große Schwierigkeit: dass ich so neidisch bin. Die meisten Menschen werden von Ehrgeiz, Gier oder Neid getrieben; das sind unbarmherzige Feinde der Menschheit, und doch kann man scheinbar nicht ohne sie leben. Ich habe versucht, auf verschiedene Weise dem Neid Widerstand zu bieten, aber trotz aller meiner Bemühungen verwickle ich mich immer wieder darin. Neid ist wie Wasser, das durch ein leckes Dach sickert; im Umsehen bin ich noch viel neidischer als zuvor. Wahrscheinlich haben Sie die Frage schon viele Dutzend Mal beantwortet, aber wenn Sie Geduld mit mir haben wollen, möchte ich gern fragen, wie man sich aus dem Aufruhr von Neid herausreißen kann.«

Sie werden sicherlich bemerkt haben, dass aus dem Wunsch, nicht mehr neidisch zu sein, ein Konflikt der Gegensätze entsteht. Der Wunsch oder Entschluss, etwas aufzugeben und etwas anderes werden zu wollen, führt zum Konflikt. Im allgemeinen betrachten wir solchen Konflikt als einen natürlichen Lebensvorgang, ist das aber richtig? Man hält den unaufhörlichen Streit zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, für edel und idealistisch; in der Tat ist aber der Wunsch oder der Versuch, nicht neidisch zu sein, genau dasselbe wie das Neidisch-Sein. Wenn man das wirklich vollkommen versteht, gibt es keinen Kampf zwischen den Gegensätzen mehr, und der zwiespältige Konflikt hört auf. Das ist eine Tatsache, die Sie unmittelbar einsehen müssen, und keine Angelegenheit, über die Sie später zu Hause nachdenken können; die Einsicht ist das Wichtige dabei, nicht die Frage, wie Sie sich vom Neid freimachen sollen. Befreiung vom Neid geschieht nicht im Konflikt mit seinem Gegenteil, sondern durch Verständnis dessen, was ist; doch kann kein Verständnis eintreten, solange man noch das, was ist, ändern will.