Die Verschmelzung von Denker und Gedanke – Teil 1

Der Teich war nicht groß, aber besonders schön. Gras bedeckte seine Ufer, und ein paar Stufen führten zum Wasserspiegel hinab. An einem Ende stand ein kleiner, weißer Tempel, von hohen, schlanken Palmen umgeben. Der Tempel war hübsch gebaut, gut unterhalten und fleckenlos rein. Wenn die Sonne hinter den Palmen unterging, pflegte niemand mehr dort zu sein, nicht einmal der Priester, der mit größter Ehrfurcht in dem Tempel amtierte. Das kleine, dekorative Bauwerk gab dem Teich eine friedliche Atmosphäre, der Ort war so ruhig, dass selbst die Vögel still wurden. Die leichte Brise, die die Palmen bewegt hatte, legte sich nun, und ein paar Wolken schwebten am Himmel, von der Abendsonne bestrahlt. Eine Schlange schwamm über den Teich, zwischen den Lotusblättern ein und aus. Das Wasser war vollkommen klar und mit rosa und violetten Lotusblüten besät, deren zarter Duft dicht über der Oberfläche und an den grünen Ufern hing. Jetzt rührte sich gar nichts mehr, und die Verzauberung des Ortes schien sich über die ganze Welt zu verbreiten. Wie herrlich waren die Blüten! Sie lagen vollkommen still auf dem Wasser, und ein paar begannen, sich schon vor der Dunkelheit der Nacht zu schließen. Die Schlange hatte jetzt den Teich überquert, kam die Böschung herauf und ganz nahe vorbei. Ihre Augen glänzten wie helle, schwarze Perlen, und ihre gespaltene Zunge spielte wie eine kleine Flamme vor ihr her, als wolle sie einen Pfad für die Schlange selber bahnen.

Grübelei und Phantasie stehen dem Erkennen der Wahrheit im Wege. Ein grübelnder Verstand kann niemals die Schönheit dessen, was ist, erfassen, denn er verfängt sich im Netz seiner eigenen Vorstellungen und Worte. Wenn er auch noch so weit im Spiel seiner Einbildung wandern mag, so bleibt er doch immer im Schatten seines eigenen Gefüges und kann nie darüber hinausblicken. Ein empfindsamer Sinn dagegen kennt keine Phantasiegebilde. Diese Fähigkeit, Bildnisse zu schaffen, beschränkt unseren Verstand, bindet ihn an die Vergangenheit und an seine Erinnerungen, so dass er sich abstumpft; nur ein ruhiger Sinn ist empfindsam. Ansammlung in jeder Form wird zur Last – und wie kann der Sinn frei sein, wenn er belastet ist? Ein freies Gemüt ist sensitiv. Das Offene ist etwas Unwägbares, Unbedingtes und Unbekanntes. Phantasie und Grübelei stehen allem Offenen und Empfindsamen im Wege.

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Er sagte, er sei schon seit vielen Jahren auf der Suche nach Wahrheit, habe die Runde bei vielen Lehrern und Gurus gemacht, sei aber immer noch ein Wallfahrer und habe daher auch hier angehalten, um zu forschen. Er war ein Asket, der sich von der Welt zurückgezogen und sein eigenes Vaterland weit hinter sich gelassen hatte; sein Körper war von der Sonne tief gebräunt und bei seinen Wanderungen hager geworden. Mit großer Mühe hatte er gelernt, sich zu disziplinieren, zu konzentrieren und seine Begierden zu unterjochen. Als Gelehrter hatte er stets Zitate bei der Hand, konnte gut diskutieren und schnell Schlüsse ziehen; auch hatte er Sanskrit gelernt und beherrschte dessen klingende Redewendungen mit Leichtigkeit. All das hatte seinem Verstand eine gewisse Schärfe verliehen; doch ein geschärfter Verstand ist weder biegsam noch frei.

Muss unser Sinn nicht von Anfang an frei sein, wenn man etwas untersuchen oder erforschen will, und ist ein geschulter oder unterdrückter Verstand je frei? Freiheit ist kein Ziel am äußersten Ende, sondern muss gleich zu Beginn da sein, nicht wahr? Der geschulte oder beherrschte Verstand kann zwar innerhalb seines eigenen Bereichs frei sein, doch ist das noch nicht Freiheit. Am Ende aller Schulung steht die Anpassung, und der Weg der Schulung führt zum Bekannten aber niemals zur Freiheit. Schulung mit der dazugehörigen Furcht ist nichts als ein Verlangen, etwas zu erreichen.

»Ich fange an zu erkennen, dass bei all den Vorschriften etwas grundfalsch sein muss. Trotzdem ich viele Jahre lang versucht habe, meine Gedanken in eine gewünschte Form zu gießen, sehe ich ein, dass ich nichts erreicht habe.«

Wenn Nachahmung zum Mittel wird, muss das Ergebnis eine bloße Abschrift sein. Die Mittel bestimmen das Ende, nicht wahr? Wird unser Verstand zu Anfang geformt, so ist er zum Schluss immer noch bedingt – und wie kann er dann frei sein? Mittel und Ziel sind dasselbe und nicht zweierlei. Es ist eine Illusion anzunehmen, man könne etwas Wahres durch falsche Mittel erlangen. Bedient man sich der Unterdrückung als Mittel, so muss das Ziel ein Ergebnis der Furcht werden.

»Ich bekomme jetzt ein unbestimmtes Gefühl von der Unzulänglichkeit aller Vorschriften, selbst wenn ich ihnen heute noch folge, denn sie sind mir zu einer fast unbewussten Gewohnheit geworden. Schon als Kind hat man mich zur Anpassung erzogen, und seitdem ich dieses Gewand angelegt habe, ist mir Disziplin beinahe zur zweiten Natur geworden. Die meisten Bücher, die ich gelesen, und alle Gurus, die ich besucht habe, schreiben Selbstbeherrschung in irgendeiner Weise vor, und Sie haben keine Ahnung, wie ich mich darauf gestürzt habe. Was Sie hier sagen, kommt mir fast wie Gotteslästerung vor, es ist tatsächlich ein Schock für mich; und doch ist es offensichtlich wahr. Habe ich nun all die Jahre unnütz vergeudet?«

Sie hätten die Zeit vergeudet, wenn die Übungen Ihrem Verständnis oder Ihrer Aufnahmefähigkeit für die Wahrheit im Wege stünden, d. h. wenn Sie heute Ihre Hindernisse nicht mehr einsichtsvoll beobachten und voll begreifen könnten. Wir sind so stark hinter unseren Ausflüchten verschanzt, dass wir meist nicht wagen, sie zu betrachten oder gar über sie hinauszublicken. Der Drang nach Verständnis ist an sich schon der Anfang von Freiheit. Wo liegt also Ihr Problem?

»Ich suche nach Wahrheit und habe mich aller möglichen Lehren und Übungen als Mittel zu diesem Zweck bedient. Mein tiefster Instinkt treibt mich, zu suchen und zu finden, ich habe an nichts anderem Interesse.«