Mittelmäßigkeit – Teil 1

Das Unwetter hatte mehrere Tage angehalten und heftige Winde und Wolkenbrüche mit sich gebracht. Die Erde saugte das Wasser gierig auf, und der Staub vieler Sommer wurde von den Bäumen gewaschen. In diesem Teil des Landes hatte es mehrere Jahre lang nicht mehr richtig geregnet, jetzt aber wurde alles wiedergutgemacht – wenigstens hoffte man es –, und das Plätschern des Regens, das Rinnen des Wassers löste nichts als Freude aus. Es regnete immer noch, als wir alle zu Bett gingen. Die Regentropfen trommelten laut auf das Dach, es klang wie ein Tanzrhythmus, und man konnte das Murmeln vieler Bäche hören. Dann kam ein herrlicher Morgen! Die Wolken waren verschwunden, und die Hügel ringsumher glitzerten in der frühen Morgensonne, sie sahen alle aus wie rein gewaschen; ein Segen lag in der Luft. Noch regte sich nichts, nur die Hügelspitzen erglühten. In ein paar Minuten würde der tägliche Lärm beginnen, aber jetzt herrschte noch tiefer Frieden im Tal, obgleich das Murmeln der Flüsse und in der Ferne das Krähen eines Hahnes hörbar waren. Alle Farben sahen lebendig aus, und alles war so voller Leben – das neue Gras wie der gewaltige Baum, der das Tal zu beherrschen schien. Da war neues Leben in Überfülle, und von nun an würden die Götter wieder froh und freigebig ihre Opfer erhalten. Jetzt würden die Felder für die nächste Reisernte fruchtbar sein, und es würde nicht an Futter für Kühe und Ziegen mangeln. Nun würden sich die Brunnen wieder füllen, und es könnten neue Ehen in Freude geschlossen werden. Die Erde sah rot aus, und überall würde Fröhlichkeit herrschen.

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»Ich kenne die Beschaffenheit meines Verstandes genau«, erklärte er. »Ich habe die Universität besucht, habe eine sogenannt gute Erziehung erhalten und sehr viel gelesen. Politisch stand ich ganz links und bin mit der entsprechenden Literatur gut vertraut. Die Partei ist genau wie eine organisierte Religion geworden, so wie der Katholizismus früher war und heute noch ist, mit seinem Kirchenbann, seinen Drohungen und Amtsentsetzungen. Eine Weile arbeitete ich ehrgeizig in der Politik und hoffte auf eine bessere Welt, aber obgleich ich darin hätte vorwärtskommen können, habe ich das Spiel durchschaut und aufgegeben. Schon vor langer Zeit erkannte ich, dass man wirkliche Umgestaltung nicht durch Politik erreichen kann, denn Politik und Religion lassen sich nicht vereinen. Ich weiß, man sagt heute allgemein, wir sollten in unsere Politik Religion einführen, aber sobald wir es tun, ist es keine Religion mehr, sondern nur noch Unsinn. Gott spricht nicht in politischen Begriffen zu uns, wir schaffen viel eher unseren eigenen Gott in den Ausdrücken politischer und wirtschaftlicher Bedingtheit.

»Ich bin aber nicht hergekommen, um mit Ihnen über Politik zu reden, und Sie haben ganz recht, die Diskussion darüber abzulehnen. Ich bin gekommen, um über etwas zu sprechen, was mich tatsächlich innerlich verzehrt. Neulich abends sagten Sie etwas über Mittelmäßigkeit. Ich habe zwar zugehört, konnte es aber nicht ganz aufnehmen, denn ich war zu erregt; während Sie sprachen, traf mich das Wort ›Mittelmäßigkeit‹ sehr stark. Noch nie hatte ich es auf mich selber angewandt. Ich gebrauche den Ausdruck nicht im gesellschaftlichen Sinne, und er hat auch, wie Sie erklärten, nichts mit wirtschaftlichen und Klassenunterschieden oder mit der Herkunft zu tun.«

Natürlich. Mittelmäßigkeit liegt ganz außerhalb des Bereichs willkürlicher, gesellschaftlicher Einteilungen.

»Das verstehe ich. Sie sagten auch, wenn ich mich recht erinnere, dass nur der wahrhaft religiöse Mensch ein Revolutionär und als solcher nicht mittelmäßig sei. Ich spreche von der Mittelmäßigkeit des Geistes und nicht der der Arbeit oder Stellung. Selbst wenn man an der höchsten und mächtigsten Stelle steht oder den allerinteressantesten Beruf ausübt, kann man noch sehr mittelmäßig sein. Ich habe selber keine hohe Stellung noch eine besonders interessante Beschäftigung, aber ich bin mir wenigstens meiner geistigen Beschaffenheit bewusst. Sie ist durchaus mittelmäßig. Zwar habe ich die Philosophie des Westens und des Ostens studiert und interessiere mich noch für viele andere Dinge, aber trotz allem ist mein Verstand sehr durchschnittlich. Trotz meiner Fähigkeit für koordiniertes Denken bin ich immer noch mittelmäßig und unschöpferisch.«