Der Aufruhr im Denken - Teil 1

Den ganzen Tag über war es neblig gewesen, und als es sich gegen Abend aufklärte, erhob sich der Ostwind – ein trockener, scharfer Wind, der die verdorrten Blätter herunterwehte und das Land austrocknete. Es wurde eine stürmische und bedrohliche Nacht; der Wind nahm beständig zu, das Haus knarrte und ganze Äste wurden von den Bäumen gerissen. Am Morgen war die Luft so klar, dass es fast so aussah, als könne man die Berge berühren. Mit dem Wind war auch die Hitze wiedergekommen, aber als sich der Wind am späten Nachmittag legte, rollte wieder Nebel vom Meer herein.

Wie herrlich schön und reich ist doch die Erde! Man wird ihrer nie müde. Ein trockenes Flussbett ist voller Leben: Ginster und Mohn und hohe, gelbe Sonnenblumen wachsen dort. Auf den Felsblöcken gibt es Eidechsen; eine braun und weiß geringelte Königsschlange liegt in der Sonne und lässt ihre schwarze Zunge vor- und zurückschnellen, und jenseits der Schlucht bellt ein Hund auf der Jagd nach einem Erdeichhörnchen oder Kaninchen.

Zufriedenheit entsteht niemals durch Erfüllung, durch Leistung oder den Besitz von Dingen; sie wird weder aus Tätigkeit noch aus Untätigkeit geboren. Sie kommt mit der Fülle dessen, was ist – doch nicht, wenn man es verändern will. Das, was vollständig ist, braucht nicht geändert oder verwandelt zu werden. Nur das Unvollkommene in seinem Streben nach Vollkommenheit kennt den Aufruhr der Unzufriedenheit und Veränderung. Das, was ist, ist unvollkommen, es ist nicht das Vollkommene. Das Vollkommene ist unwirklich, und unsere Jagd nach dem Unwirklichen bildet den Schmerz der Unzufriedenheit, der nie gelindert werden kann. Der bloße Versuch, diesen Schmerz zu besänftigen, ist das Suchen nach dem Unwirklichen, aus dem alle Unzufriedenheit entspringt. Es gibt keinen Ausweg aus der Unzufriedenheit. Sich seiner Unzufriedenheit bewusst zu werden, bedeutet, das, was ist, zu erkennen, und in dessen Fülle entsteht ein Zustand, den man Zufriedenheit nennen kann. Dazu gibt es keinen Gegensatz.

Von dem Haus konnte man das ganze Tal überblicken; die höchste Spitze der fernen Berge erglühte in der untergehenden Sonne. Die felsige Bergmasse schien vom Himmel herabzuhängen und wie von innen erleuchtet zu sein, und in dem dämmrigen Zimmer sah die Schönheit der Beleuchtung über alle Maßen herrlich aus.

* * *

Er war ein noch ziemlich junger Mann, voller Eifer und auf der Suche.

»Ich habe mehrere Bücher über Religion und religiöse Übungen gelesen, über Meditieren und die verschiedenen Methoden, die zum Erreichen des Höchsten empfohlen werden. Eine Zeitlang zog mich der Kommunismus an, aber ich fand bald heraus, dass er eine rückläufige Bewegung ist, trotz der vielen Intellektuellen, die sich dazu bekennen. Auch der Katholizismus fesselte mich. Mir gefielen manche seiner Lehren, und eine Weile dachte ich daran, katholisch zu werden. Aber eines Tages, als ich mich mit einem gelehrten Priester unterhielt, erkannte ich plötzlich, wie ähnlich der Katholizismus dem Gefängnis des Kommunismus ist. Während meiner Fahrten als Matrose auf einem Trampdampfer kam ich auch nach Indien, blieb fast ein Jahr dort und zog ernstlich in Betracht, Mönch zu werden; aber das war mir zu sehr vom Leben zurückgezogen, zu idealistisch und unwirklich. Ich versuchte, allein zu leben, um zu meditieren, und auch das nahm ein Ende. Nach so vielen Jahren bin ich aber scheinbar immer noch ganz unfähig, meine Gedanken in Zwang zu halten; und hierüber möchte ich gern mit Ihnen sprechen. Natürlich habe ich noch mehr Probleme, wie zum Beispiel das sexuelle und andere; wenn ich aber erst einmal meine Gedanken völlig gebändigt habe, könnte ich es sicherlich auch zuwege bringen, meine brennenden Wünsche und Triebe zu zügeln.«

Wird das Meistern Ihrer Gedanken zur Beruhigung Ihrer Wünsche führen, oder nur zu deren Unterdrückung? Und muss das nicht wiederum neue und tiefere Probleme mit sich bringen?

»Sie können doch unmöglich dazu raten, jedem Verlangen nachzugeben? Verlangen liegt in der Natur unseres Denkens, und ich hatte gehofft, durch mein Streben das Denken zu kontrollieren und gleichzeitig meine Wünsche zu unterjochen. Wünsche müssen entweder besiegt oder vergeistigt werden, aber sogar zur Vergeistigung muss man sie zuerst zügeln. Die meisten Lehrer betonen, dass man über seine Wünsche hinausgehen müsse, und sie schreiben allerlei Methoden dafür vor.«

Was denken Sie selber darüber, abgesehen von dem, was andere gesagt haben? Soll eine bloße Kontrolle unserer Wünsche alle Probleme des Verlangens lösen? Soll Unterdrückung oder Vergeistigung zum Verständnis unseres Verlangens führen, oder uns von ihm befreien? Durch bestimmte religiöse und auch andere Betätigung lässt sich unser Denken den ganzen Tag lang disziplinieren; aber ein geschäftiger Sinn ist niemals frei, und nur der freie Sinn kann zeitlose Schöpfung erkennen.

»Gibt es keine Freiheit, wenn man über seine Wünsche hinausgeht?«

Was verstehen Sie unter dem Hinausgehen über die Wünsche?

»Will man Glück erlangen oder das Höchste verwirklichen, so darf man sich natürlich nicht von seinen Wünschen treiben lassen, oder sich in deren Unruhe und Verwirrung verfangen. Um sein Verlangen unter Kontrolle zu bringen, ist eine Art Unterjochung nötig. Dasselbe Verlangen kann sich, anstatt im Leben kleinlichen Dingen nachzugehen, auf die Suche nach dem Erhabenen begeben.«

Selbst wenn Sie den Gegenstand Ihres Verlangens ändern – von einem Haus zu umfassendem Wissen, vom Niedrigen zum Allerhöchsten –, bleibt es immer noch eine Betätigung Ihres Verlangens, nicht wahr? Und wenn Sie auch nicht nach weltlicher Anerkennung suchen, so ist doch der Drang, das Göttliche zu erreichen, wiederum ein Streben nach Gewinn. Unser Verlangen sucht beständig nach Erfüllung, nach Errungenschaft, und gerade diese Regung muss verstanden, nicht aber vertrieben oder unterdrückt werden. Ohne Verständnis für die Wendungen des Verlangens hat bloße Gedankenkontrolle sehr wenig Bedeutung.