Langeweile – Teil 1

Es hatte aufgehört zu regnen. Die Wege waren sauber, und aller Staub war von den Bäumen gewaschen. Die Erde sah erquickt aus. Im Teich quakten Frösche sehr laut, sie waren groß und hatten vor Freude geschwellte Kehlen. Das Gras glitzerte voll kleiner Wassertropfen, und auf dem Lande herrschte Frieden nach dem schweren Regen. Das Vieh war völlig durchnässt, denn es suchte nie Unterschlupf beim Regen, jetzt aber graste es wieder zufrieden. In dem kleinen Fluss, der sich am Wegrande gebildet hatte, spielten ein paar Knaben, sie waren nackt, und ihre glänzenden Körper und hellen Augen waren schön anzusehen. Sie vergnügten sich über alle Maßen – wie glücklich sie waren! Nichts anderes war ihnen wichtig; sie lächelten vor Freude, wenn jemand sie ansprach, obwohl sie kein Wort von dem Gesagten verstanden. Die Sonne kam wieder hervor, und die Schatten wurden tiefer.

Wie notwendig ist es, dass unser Sinn sich von allem Denken läutert, dass er beständig leer ist – nicht leer gemacht wird, sondern es einfach ist; dass alle Erinnerungen an gestern und alle Gedanken an die kommende Stunde absterben! Es ist so einfach zu sterben und so schwer fortzuleben, denn Fortdauer ist das Streben, zu sein oder nicht zu sein. Streben heißt Verlangen, und das Verlangen kann nur absterben, wenn unser Sinn sein Erwerben einstellt. Wie einfach ist es, bloß zu leben! Doch bedeutet es nicht Stillstand. Im Nicht-Wünschen, Nichts-Sein-Wollen, Nirgendwohin-Gehen liegt großes Glück. Erst wenn sich unser Sinn von allem Denken läutert, kommt schöpferisches Schweigen. Doch solange er schweift, um irgendwohin zu gelangen, ist er nicht in Ruhe. Etwas zu erreichen, bedeutet für ihn, Erfolg zu haben, und Erfolg ist sich immer gleich – am Anfang wie am Ende. Es gibt keine Läuterung für den Sinn, solange er am Muster seines eigenen Werdens webt.

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Sie sagte, sie sei immer irgendwie beschäftigt gewesen: mit ihren Kindern, gesellschaftlichem Verkehr oder Sport, doch hinter aller Tätigkeit habe stets drückende und beständige Langeweile gestanden. Sie langweilte sich im gewohnten Gang ihres Lebens, bei Vergnügen und Schmerz, bei Schmeichelei wie bei allem anderen. Die Langeweile habe wie eine Wolke über ihrem Leben gehangen, solange sie zurückdenken könne. Wohl habe sie versucht, ihr zu entfliehen, aber jedes neue Interesse sei nur zu bald wieder zu Überdruss und tödlicher Langeweile geworden. Sie habe sehr viel gelesen und die üblichen Unruhen des Familienlebens kennen gelernt, aber bei allem habe sie quälende Langeweile empfunden. Es habe nichts mit ihrem Wohlbefinden zu tun, denn sie sei vollkommen gesund.

Was glauben Sie, warum langweilen Sie sich so? Ist es eine Folge von Hemmungen oder vielleicht eines lebenswichtigen Verlangens, das vereitelt wurde?

»Nicht gerade das. Es gab zwar oberflächliche Hemmungen, aber sie haben mich nie sehr gestört; wenn sie mich beunruhigten, bin ich ihnen ziemlich intelligent gegenübergetreten und habe mich nie verblüffen lassen. Ich glaube nicht, dass meine Schwierigkeit im Gehemmt-Sein liegt, denn ich habe immer das, was ich wollte, erreicht. Ich bin mit meinen Forderungen verständig gewesen, habe nie Unmögliches verlangt. Trotzdem habe ich bei allem, sogar bei meiner Familie und meiner Arbeit dieses Gefühl der Langeweile.«

Was verstehen Sie unter Langeweile? Sind Sie unbefriedigt? Hat Ihnen niemals etwas vollkommene Befriedigung gebracht?

»Das ist es nicht. Ich bin so unbefriedigt wie jeder normale Mensch, aber ich habe mich mit dem unvermeidlichen Unbefriedigtsein aussöhnen können.«

Woran sind Sie interessiert? Gibt es irgendein tiefgehendes Interesse in Ihrem Leben?

»Kein besonderes. Hätte ich ein tieferes Interesse, so wäre ich nicht so gelangweilt. Ich versichere Ihnen, ich bin von Natur aus schnell begeistert, und wenn ich ein Interesse hätte, würde ich es nicht so leicht fahren lassen. Ich habe in Abständen vielerlei Interessen gehabt, aber alle haben in einer Wolke von Langeweile geendet.«

Was verstehen Sie unter Interesse? Woher kommt der Wechsel von Interesse und Langeweile? Was bedeutet eigentlich Interesse? Sie interessieren sich für das, was Sie erfreut und befriedigt, nicht wahr? Ist Interesse nicht eine Art Gewinnsucht? Sie würden sich wohl kaum für etwas interessieren, das Ihnen keinen Gewinn brächte, oder doch? Ihr Interesse hält so lange an, als sie etwas erlangen. Interesse ist Gewinn, nicht wahr? Bei allem, womit Sie in Berührung kommen, haben Sie versucht, Befriedigung zu erlangen, und wenn Sie es gründlich ausgenutzt hatten, waren Sie natürlich gelangweilt. Jede Errungenschaft ist ein Form von Langeweile oder Überdruss. Wir wollen fortwährend ein anderes Spielzeug. Sobald wir das Interesse an einem verlieren, wenden wir uns einem anderen zu, und man kann immer neues Spielzeug finden. Wenn wir uns mit einer Sache befassen, geschieht es in der Absicht, etwas zu erwerben; so geht es bei Vergnügen und Wissen, bei Ruhm und Macht, bei der Tüchtigkeit, bei unserer Familie und so weiter. Haben wir nichts mehr von einer Religion oder einem Erlöser zu gewinnen, so verlieren wir Interesse und wenden uns einem andern zu. Manche Menschen schlafen innerhalb einer Organisation ein und wachen niemals auf; die, die aufwachen, treten einer anderen bei und schlafen da wieder ein. Solche Bewegung, die nur auf Erwerb gerichtet ist, nennt man Erweiterung des Geistes oder Fortschritt.