Anpassung und Freiheit – Teil 1

Das Gewitter hatte am frühen Morgen mit Donner und Blitz begonnen; jetzt regnete es nur noch ganz gleichmäßig. Der Regen hörte den ganzen Tag nicht auf, und die rote Erde saugte ihn gierig ein. Das Vieh suchte unter einem großen Baume Schutz, wo auch ein kleiner, weißer Tempel stand. Der Fuß des Baumes war ungeheuer groß und das Feld, das ihn umgab, leuchtend grün. Jenseits des Feldes lief eine Eisenbahnlinie entlang; die Züge arbeiteten sich mühsam den kleinen Abhang hinauf und stießen auf der Höhe einen triumphierenden Pfiff aus. Wenn man an  der Bahnlinie entlangging, konnte man gelegentlich auf eine große Kobra mit prachtvoller Zeichnung stoßen, die kurz vorher von einem Zug entzweigeschnitten war. Die Vögel pflegten sich dann bald über die leblosen Stücke herzumachen, und in kurzer Zeit war nichts mehr von der Schlange übrig.

Allein zu leben, erfordert hohe Intelligenz; es ist schwer, allein zu leben und dabei biegsam zu bleiben. Allein zu leben und keine Mauern selbst-einschließender Befriedigung um sich zu errichten, erheischt äußerste Wachsamkeit, denn ein einsames Leben unterstützt Trägheit und behagliche Gewohnheiten, die schwer wieder abzulegen sind. Alleinleben fördert Absonderung, und nur ein weiser Mensch kann allein leben, ohne sich und anderen Schaden zuzufügen. Im Alleinsein liegt Weisheit, doch ein einsamer Pfad führt nicht immer zur Weisheit. Absonderung bedeutet Sterben, und in der bloßen Zurückgezogenheit findet man noch keine Weisheit. Es gibt keinen Pfad zur Weisheit, denn Pfade trennen und schließen aus. Alle Pfade führen gerade ihrer Natur nach zur Absonderung, trotzdem die verschiedenen Formen der Absonderung Einheit, Ganzes, Eines und so weiter benannt werden. Ein Pfad ist etwas Ausschließliches; und mit ausschließlichen Mitteln gelangt man zu einem Ziel, das den Mitteln gleicht, denn die Mittel sind nicht vom Ziel, von dem, was sein sollte, zu trennen. Weisheit entsteht, wenn man seine Beziehung zu einem Felde, einem Vorübergehenden oder einem flüchtigen Gedanken verstehen lernt. Zieht man sich zurück, sondert man sich ab, um etwas zu finden, so setzt man allem Entdecken ein Ende. Beziehungen dagegen führen zu einem Alleinsein, das nicht Isolierung ist. Alleinsein muss entstehen – doch nicht aus einschließendem Denken sondern aus Freiheit. Das Vollkommene ist allein, während Unvollkommenheit nach Wegen der Absonderung sucht.

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Sie war Schriftstellerin, und ihre Bücher hatten weite Verbreitung gefunden. Sie sagte, sie habe es erst nach vielen Jahren ermöglichen können, nach Indien zu reisen, und als sie zuerst auszog, habe sie keine Ahnung gehabt, wo sie landen würde; jetzt aber, nach langer Zeit sei ihr endlich das Ziel klar geworden. Ihr Mann sowie ihre ganze Familie interessierten sich nicht nur oberflächlich, sondern sehr ernst für religiöse Angelegenheiten; trotzdem habe sie sich entschlossen, sie alle zu verlassen, und sei ausgezogen in der Hoffnung, Frieden zu finden. Als sie herkam, habe sie keinen Menschen in diesem Lande gekannt, und das erste Jahr sei sehr schwer für sie gewesen. Zuerst sei sie zu einem Ashram oder heiligen Asyl gegangen, von dem sie gelesen hatte. Der Guru oder Lehrer dort war ein freundlicher, alter Mann, der einmal in seinem Leben gewisse religiöse Erlebnisse gehabt hatte, von denen er noch zehrte, und der jetzt beständig Sanskrit Aussprüche zitierte, die nur seine Schüler verstanden. Sie wurde willkommen geheißen und habe es nicht schwer gefunden, sich den Regeln anzupassen. Doch als sie nach einem Aufenthalt von mehreren Monaten keinen inneren Frieden gefunden hatte, habe sie eines Tages erklärt, sie wolle abreisen. Die Schüler seien völlig entsetzt gewesen bei dem bloßen Gedanken, sie könne einen solchen Meister der Weisheit verlassen wollen, aber sie sei doch gegangen.

Danach habe sie ein Ashram in den Bergen aufgesucht und sei zuerst sehr glücklich gewesen, denn es war dort herrlich mit vielen Bäumen, Wasserläufen und Naturschönheiten. Die Disziplin sei ziemlich streng gewesen, das habe sie indessen nicht gestört, aber auch hier waren alle Lebenden leblos. Die Schüler verehrten lebloses Wissen, leblose Überlieferung und einen leblosen Lehrer. Als sie fortging, seien alle wiederum sehr empört gewesen und hätten sie mit geistiger Finsternis bedroht. Dann habe sie sich zu einem sehr bekannten Asyl begeben. Dort wurden unaufhörlich religiöse Lehren wiederholt und ganz regelmäßig vorgeschriebene Meditationen verrichtet; aber sie habe allmählich entdeckt, dass sie im Begriff sei, in eine Falle gelockt und langsam zerstört zu werden. Weder Lehrer noch Schüler hätten Freiheit gewollt, obwohl sie stets davon sprachen. Sie hätten für nichts anderes Interesse gehabt, als das Zentrum für ihren Lehrer weiterzuführen und die Schüler in seinem Namen dort festzuhalten. Wiederum habe sie sich losgemacht und sei woanders hingegangen – wiederum dasselbe Bild in etwas anderer Weise.

»Ich versichere Ihnen, nachdem ich in den meisten der ernsthaften Ashrams gewesen bin, dass sie einen dort halten und abschleifen wollen, bis man in ihr Denkschema passt, das sie Wahrheit nennen. Warum sind sie alle so darauf bedacht, jeden ihrer besonderen Lehre oder der Lebensweise, die ihr Lehrer vorschreibt, anzupassen? Woher kommt es, dass sie innere Freiheit versprechen, aber sie nie vermitteln?«