Zufriedenheit – Teil 1

Das Flugzeug war überfüllt. Es flog in einer Höhe von über siebentausend Metern über dem Atlantischen Ozean, und man sah nur einen dicken Wolkenteppich unter sich. Der Himmel war tiefblau, die Sonne stand hinter uns, und wir flogen gen Westen. Die Kinder hatten herumgespielt, waren den Gang auf- und abgelaufen, aber jetzt müde geworden und eingeschlafen. Nach der langen Nacht waren alle anderen Reisenden wach, sie rauchten und tranken. Ein Mann vor uns sprach zu einem andern über sein Geschäft, und hinter uns beschrieb eine Frau mit großer Befriedigung die Dinge, die sie eingekauft hatte, und rechnete aus, wie viel Zoll sie werde zahlen müssen. Auf dieser Höhe verlief der Flug sehr glatt, ohne jede Stöße, obwohl unter uns raue Winde wehten. Die Flügel des Flugzeugs glänzten im klaren Sonnenschein, und die Propeller, die sich so gleichmäßig drehten, schnitten die Luft mit fantastischer Geschwindigkeit. Wir hatten den Wind im Rücken und flogen mit einer Schnelligkeit von etwa fünfhundert Kilometern pro Stunde.

Zwei Männer auf der anderen Seite des engen Ganges unterhielten sich ziemlich laut, es war schwer, ihre Worte nicht zu überhören. Es waren kräftige Gestalten, und das Gesicht des einen war stark wettergebräunt. Er erklärte dem andern den Walfischfang, wie gefährlich es sei, wie viel Gewinn darin stecke, und wie schrecklich rau das Meer sein könne. Es gäbe Walfische, die mehrere hundert Tonnen wögen. Die Mutterfische mit Jungen dürften nicht getötet werden, auch sei es nicht gestattet, mehr als eine bestimmte Anzahl Walfische innerhalb einer bestimmten Zeit zu jagen. Scheinbar war das Töten der großen Ungeheuer wissenschaftlich restlos ausgearbeitet, jede Gruppe hatte ihre besondere Aufgabe und war für sie technisch vorgebildet. Der Geruch auf dem Verarbeitungsschiff sei fast unerträglich, man gewöhne sich jedoch daran, wie fast an alles. Aber es sei sehr viel Geld damit zu verdienen, wenn alles gut gehe. Dann begann er, den seltsamen Reiz des Tötens an sich zu beschreiben, aber in diesem Augenblick wurden Getränke gebracht, und die Unterhaltung nahm einen anderen Lauf.

Die Menschen töten gern – sei es einander oder ein harmloses, klaräugiges Reh im tiefen Walde, oder einen Tiger, der Vieh geraubt hat. Liegt eine Schlange auf der Straße, so wird sie absichtlich überfahren; Fallen werden aufgestellt, um einen Wolf oder einen Steppenwolf zu fangen. Wohlgekleidete, lachende Menschen gehen mit ihren kostbaren Gewehren auf die Jagd und schießen Vögel ab, die soeben noch einander lockten. Ein Junge tötet einen zwitschernden Häher mit seinem Luftgewehr, und die Erwachsenen um ihn herum haben weder ein Wort des Erbarmens noch der Schelte, im Gegenteil, sie rühmen seinen guten Schuss. Töten als sogenannter Sport, Töten aus Hunger, Töten für sein Vaterland oder für den Frieden – es macht alles keinen großen Unterschied.

Rechtfertigung ist auch keine Lösung. Es heißt nur: töte nicht. Im Westen glaubt man, die Tiere bestünden für unsern Magen oder für die Freuden der Jagd oder wegen ihrer Pelze. Im Osten wird seit Jahrhunderten gelehrt und von allen Eltern betont: töte nicht, habe Mitleid und Erbarmen. Hier haben Tiere keine Seelen, können also ungestraft getötet werden; dort haben sie Seelen, daher nimmt man Rücksicht und lässt sein Herz in Liebe sprechen. Vögel und andere Tiere zu essen, wird hier als normal und natürlich angesehen, von der Kirche gutgeheißen und durch Reklame bekräftigt; dort aber nicht, und die Menschen, die ihrer Tradition und Kultur nach gedankenvoll und religiös sind, tun es niemals. Aber auch das ändert sich langsam. Hier wurde von jeher im Namen Gottes und des Vaterlandes getötet, und jetzt geschieht es überall. Das Töten verbreitet sich. Fast über Nacht werden alte Kulturen beiseitegefegt; Tüchtigkeit, Grausamkeit und die Werkzeuge der Zerstörung werden vorsätzlich ausgebildet und verstärkt.

Frieden ist weder beim Politiker noch beim Priester, weder beim Anwalt noch beim Polizisten zu finden. Frieden ist der Zustand des Geistes, in dem Liebe herrscht.

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Er hatte ein kleines Geschäft und mühte sich sehr damit ab, konnte aber gerade mit seinen Mitteln auskommen.

»Ich bin nicht hergekommen, um über meine Tätigkeit zu sprechen«, sagte er. »Sie gibt mir, was ich brauche, und da ich nur geringe Bedürfnisse habe, komme ich schon vorwärts. Ich bin nicht übermäßig ehrgeizig und nehme nicht am Spiel ruchlosen Wettbewerbs teil. Eines Tages sah ich im Vorbeifahren eine Menschenmenge unter den Bäumen; ich hielt an und hörte Ihnen zu. Das geschah vor zwei Jahren, und Ihre Worte haben damals etwas in mir aufgerührt. Ich habe keine allzu gute Erziehung bekommen, aber ich lese seitdem Ihre Vorträge, und deswegen bin ich nun hergekommen. Früher war ich zufrieden mit meinem Leben, meinen Gedanken und den paar vereinzelten Glaubenssätzen, die mich nicht zu sehr beschwerten. Aber seit jenem Sonntagmorgen, als ich zufällig mit meinem Auto hierher ins Tal fuhr und Ihnen zuhörte, bin ich nicht mehr zufrieden gewesen. Nicht so sehr wegen meiner Arbeit; die Unzufriedenheit hat vielmehr mein ganzes Wesen erfasst. Ich pflegte unzufriedene Leute zu bemitleiden, weil sie immer so unglücklich und ungenügsam sind, und jetzt bin ich ihren Reihen beigetreten. Früher war ich zufrieden mit meinem Leben, meinen Freunden und allem, was ich tat, aber nun bin ich unzufrieden und unglücklich.«